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Sie haben mich verkauft

Sie haben mich verkauft

Titel: Sie haben mich verkauft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: O Kalemi
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Monaten hatte ich das letzte Mal mit ihnen gesprochen, und irgendwie schämte ich mich, mit ihnen Kontakt aufzunehmen. Aber ich konnte doch nicht einfach verschwinden, konnte denselben Fehler nicht zweimal machen. Ich musste in der Vorstellung meiner Kinder ein Bild von dem Tag zeichnen, an dem ich sie wiedersehen würde. Das hatte Naz mir aufgezeigt. Ich konnte ja vielleicht nicht fliehen, aber ich musste lernen, Schritt für Schritt meine Angst zu besiegen.
    Ich zitterte, als ich den Telefonhörer in die Hand nahm. Drei Monate zuvor war Sascha zehn geworden, und ich wollte in Erfahrung bringen, wie es Luda in der Schule gefiel. Schnell sprach ich mit Tamara und erzählte ihr, ich würde Geld schicken. Dann kam Luda an den Apparat.
    »Hallo, Mama«, sagte sie mit ihrer zarten, hohen Stimme.
    »Hallo, mein Liebling.« Unwillkürlich musste ich lächeln, als ich ihre Stimme hörte.
    »Ich komme gerade vom Spielen rein.«
    »Was hast du denn gespielt?«
    »Bloß Seilspringen. Also kommst du uns jetzt bald besuchen?« Sie klang voller Hoffnung.
    »Ja, mein Liebling. Aber erst muss ich noch eine Weile arbeiten.«
    »Oh.« Luda glaubte mir nicht. Ihre Stimme klang hohl, und mein Herz fing an zu rasen. Meine Tochter wusste, dass ich sie anlog. Ich würde nie nach Hause kommen. Ich hatte mein Versprechen gegeben, es gebrochen, und alle sagten ihr, ich hätte sie im Stich gelassen.
    »Meine Freundin ist gerade gekommen«, sagte sie plötzlich. »Hier ist Sascha.«
    Luda legte den Hörer hin, und ich hörte, wie sie weglief und den Namen ihres Bruders rief.
    »Mama?«, sagte Sascha, als er schließlich an den Apparat kam.
    »Ja, ich binʼs«, sagte ich und schluckte die Tränen hinunter, die mir die Kehle zuschnürten. »Wie geht es dir?«
    »Gut. Wo bist du gewesen? Ich dachte, du würdest zu Neujahr kommen, aber du bist nicht gekommen, und jetzt ist es August. Du bist schon so lange weg.«
    »Ich weiß, mein Liebling. Aber ich kann noch nicht kommen. Ich muss einfach noch mehr Geld verdienen. Ich will uns doch ein Haus kaufen, und dann werden wir alle zusammen sein. Du, ich, Pascha und Luda.«
    »Aber ich vermisse dich so. Mir gefällt es nicht bei Tamara.«
    »Ich vermisse dich auch, mein Liebling, und ich möchte, dass du eines weißt: Es gibt gute Gründe dafür, dass ich euch verlassen habe, und eines Tages werde ich dir alles erzählen. Aber fürs Erste sollst du wissen, dass deine Mama dich sehr liebt und bald zu dir zurückkommt.«
    »Bist du krank?«
    »Nein, mir geht es gut.«
    »Also, wann kommst du dann?«
    »Bald, mein Liebling, und was auch passiert und egal, was die Leute sagen, denk immer dran, dass ich dich und Pascha und Luda sehr lieb habe.«
    »Na gut.«
    »Bis bald, mein Liebling, ich muss jetzt Schluss machen. Sei schön brav bei Tamara, ja? Und kümmere dich um deine Schwester. Ich hab dich lieb. Bald bin ich wieder bei dir.«
    »Ja, Mama. Bis bald.«
    Seine Stimme klang so verletzlich, und ich legte den Hörer auf und wusste, dass mein Sohn am anderen Ende der Welt gerade um mich weinte, so wie ich um ihn weinte. Wie lange mochte es noch dauern, bis mich meine Kinder so sehr hassten, dass sie mich nicht mehr sehen wollten, auch wennich nach Hause kam? Luda kannte mich kaum, Sascha war verzweifelt, und wo Pascha war, wusste ich nicht einmal. Ich musste unbedingt etwas unternehmen.
    Am nächsten Tag ging ich früh zur Arbeit, um mit Naz zu sprechen.
    »Gib mir bitte diese Telefonnummer, von der du mir erzählst hast.«
    »Welche Telefonnummer?«
    »Die von deiner Freundin. Du hast mir doch mal erzählt, du wolltest mir helfen zu fliehen und du hättest eine Freundin, die mir auch helfen könnte. Gibst du mir ihre Nummer?«
    Dann antwortete Naz. Ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. »Du hast dich also entschlossen zu fliehen?«
    »Ja.«
    »Wann?«
    »Bald.«
     
    Es war ein regnerischer Morgen Ende September 2002. Ich war mittlerweile seit fünfzehn Monaten von zu Hause fort. Ardy schlief neben mir, und ich lag ganz still da und musterte ihn. Wochenlang war ich besonders nett zu ihm gewesen – ich hatte gekocht, ich hatte gelächelt, ich hatte mit ihm geredet, und ich hatte Sex mit ihm gehabt, wann immer er wollte. Aber die ganze Zeit wusste ich, dass da versteckt hinter dem Schrank ein kleiner Beutel lag. Darin waren etwas Unterwäsche, ein Top und ein Goldring, den Ardy mir einmal geschenkt hatte. Ich wollte ihn zur Erinnerung an das mitnehmen, was ich nie vergessen wollte, zur Erinnerung

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