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Sie haben sich aber gut gehalten!

Sie haben sich aber gut gehalten!

Titel: Sie haben sich aber gut gehalten! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilli Beck
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zu Besuch gekommen ist. Und wie sich heute Morgen herausgestellt hat, wird sie ein paar Tage hier wohnen. Na ja, sie ist etwas chaotisch, und ich kann nicht versprechen, ob ich das Haus in ordentlichem Zustand –»
    «Mach dir nicht so viele Gedanken, Rosy», beruhigt mich John. «Das kriegen wir schon hin. Mein Interessent hat selbst Familie. Ich werde ihn also vorwarnen.»
    Bei seinen tröstenden Worten spüre ich eine schmerzhafte Leere. Wie schön muss es sein, jemanden zu haben, mit dem man an einem Strang zieht, denke ich melancholisch. Jemanden, bei dem
ich
mich mal ausheulen könnte.
    «Du bist der Profi, John», antworte ich seufzend und schöpfe neue Hoffnung. «Ich muss nur rechtzeitig von den Besichtigungen erfahren, ja?»
    «Selbstverständlich», versichert er. «Wir platzen auf keinen Fall unangemeldet rein.»
    «Danke, also bis bald», verabschiede ich mich.
    «Ja, bis bald», wiederholt John.
    Als ich auflege, lasse ich meine Hand noch eine Sekunde länger am Hörer ruhen als nötig. Sosehr ich mich auch dagegen wehre, die alten Gefühle für John kommen einfach immer wieder hoch.
    Ein Papierrascheln lässt mich zusammenzucken. Mit der Zeitung in der Hand marschiert Lotte wieder zum Sofa und lässt sich in die Polster fallen.
    «Die hab ich grad aus dem Briefkasten geholt», verkündet sie stolz. «Jetzt brühen wir frischen Kaffee auf und machen es uns erst mal gemütlich.»
    Na, aus meinem täglichen Morgenvergnügen – in aller Ruhe Zeitung lesen – wird heute sicher nichts. Denn in Lottes Gesellschaft ist eine ungestörte Lektüre wohl kaum möglich. Geschwätzig, wie sie ist, liest sie mir am Ende noch laut vor.
    «War das vielleicht eines meiner Enkelkinder?», fragt sie und linst mich über die Zeitung hinweg neugierig an.
    «Nein, das war der Immobilienmakler! Du hast ihn gestern kurz kennengelernt», gebe ich Auskunft und berichte auch, dass John bereits einen Interessenten für das Haus hat.
    Zu meiner Freude weicht der freundliche Ausdruck auf ihrem runden Gesicht nach und nach ungläubigem Stirnrunzeln.
    «Ihr wollt also tatsächlich verkaufen?», bohrt sie nach. «Ich dachte, es wäre nur ein Vorwand, mich zu Volker abzuschieben.»
    Ertappt zucke ich zusammen. «Aber Lotte, wie kannst du das nur denken», schwindle ich. «Ich wollte dir lediglich Unannehmlichkeiten ersparen. Es ist ja nicht gerade gemütlich, wenn ständig fremde Menschen durchs Haus laufen. Da fühlt man sich doch schnell wie ein Ausstellungsstück.»
    «Ach was», lacht sie. «Mach dir mal meinetwegen keinen Kopf. Das verkrafte ich locker. Da habe ich schon ganz andere Situationen überstanden. Wenn ich nur daran denke, in welch misslicher Lage ich noch vor zwei Tagen auf Ibiza war, mit Gerhard und meinem Haus …» Sie bricht ab, widmet sich wieder ihrer Lektüre und plappert Sekunden später erneut los: «Oh, das wäre vielleicht was für mich: Ein Teesorten-Schnüffel-Wettbewerb!» Sie kichert albern in die Zeitung. «Aber wenn ich lese, wie es in der Welt sonst so zugeht, lebe ich hier wie im Paradies.»
    Na, bitte! Ihrer Begeisterung nach zu schließen, hat sie tatsächlich vor, die nächsten Jahre an meiner Seite zu verbringen.
    Gedankenverloren starre ich sie an. Beim Frühstück war sie doch noch ein melancholisches Häufchen Elend, dafür wirkt sie jetzt schon wieder wie ein Genuss-Junkie. Sie lümmelt auf dem Sofa und strahlt, als habe man ihr nicht das Herz, sondern lediglich die Handtasche geklaut. Wie macht sie das nur? Nimmt man in ihrem Alter derartige Schicksalsschläge nicht mehr so schwer? Oder ist das die berühmte Hippie-Gelassenheit?
    Es sei denn …
    Mir läuft es plötzlich kalt den Rücken runter. Was, wenn sie die Gerhard-Story nur erfunden hat, um Mitleid zu erregen? Um von mir aufgenommen zu werden? Ich meine, Lotte verfügt über eine blühende Vorstellungskraft und ist verdammt kreativ im Geschichtenerfinden. Als Charlie während seiner Zahnlückenzeit stark lispelte und Oma sich wie Soma anhörte, behauptete Lotte, das würde «Mondstrahlen» bedeuten. Mein Sohn nennt sie noch heute so. Ich erinnere mich auch noch gut daran, was für phantasievolle Märchen Lotte sich immer für die Kinder ausgedacht hat. Ohne eine Sekunde nachdenken zu müssen, erfand sie blumenspeiende Drachen, mutlose Kinder, die zu Helden wurden, oder schöne Prinzessinnen, die ihr Schloss verschenkten und in die Welt hinauszogen, um für den Weltfrieden zu kämpfen.
    In meinem Kopf türmen sich die Zweifel an

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