Sie haben sich aber gut gehalten!
Dann sollten wir unbedingt eine zweite Meinung einholen.»
«Ach was, mit Marie und dem Baby ist alles in bester Ordnung!», kräht Lotte plötzlich dazwischen. «Marie hat einen Schneewittchen-Teint. Sie ist im Moment höchstens leicht verwirrt, vor Freude über mein Angebot.»
Etwas in Lottes euphorischem Gehabe lässt mich aufhorchen. «Angebot?», wiederhole ich argwöhnisch, denn Geld kann sie den Kindern ja wohl kaum angeboten haben.
Charlie scheint zu merken, dass er meine Geduld nicht länger strapazieren kann. Er strafft die Schultern, atmet einmal tief durch und klärt mich auf. «Soma findet, wir sollten hier einziehen!»
WAS ???
Das junge Glück will hier einziehen! Na, das nenne ich mal eine
umwerfende
Neuigkeit. Zum Glück sitze ich bereits. Mir flimmert es nämlich mit einem Mal vor den Augen, als wäre ich selbst schwanger.
«Soma meint, das wäre die perfekte Lösung. Weil es in unserem Appartement doch viel zu eng wird, wenn das Kleine da ist. Als unverheiratete Studenten mit einem Baby bekämen wir aber nicht so ohne weiteres eine größere Wohnung, und am Anfang könnte sie uns auch mit Rat und Tat beistehen», spricht er aufgeregt weiter. «Das wäre natürlich eine supercoole Lösung, weil wir uns dann nicht um einen Krippenplatz bemühen müssten und ohne Stress weiterstudieren könnten.»
Soma findet …! Soma meint …!
Ich
finde, Soma gehört endlich weggesperrt, damit sie aufhört, mein Leben durcheinanderzubringen!
Doch meine Wut auf Lotte in Worte zu fassen, wage ich nicht. Womöglich würde Charlie einen Angriff auf seine geliebte Großmutter falsch auffassen. Stattdessen schnappe ich nach Luft und bringe nur ein klägliches «Aha» zustande.
Charlie kratzt sich verlegen am Kinn. «Natürlich nur, wenn du einverstanden bist, Mama.»
Na, wenigstens hat mein Sohn noch so viel Anstand zu fragen. Wenn ich aber die glückstrahlende Uroma in spe betrachte, scheinen Gegenargumente zwecklos und der Einzug längst beschlossene Sache zu sein.
«Ja, warum denn nicht, Rosy?», prescht Lotte vor. «Ich fände es schön, meinen Enkel und die liebe Marie um mich zu haben. Und natürlich mein Urenkelchen, was immer es wird. Dann müsst ihr auch das Haus nicht mehr verkaufen. Wäre das nicht die beste Lösung, Rosy?»
Mir fehlen die Worte. Sie verdreht mal wieder die Tatsachen und nutzt die Umstände für ihre Zwecke aus. Denn was hat der Hausverkauf mit den werdenden Eltern zu tun?
«Hab ich dir doch gesagt, Soma.» Charlie beugt sich mit Verschwörerblick zu Lotte. «Mama findet es keine gute Idee. Sie hat andere Pläne. Und die finden ohne uns statt.»
«Ach, was soll Rosy denn schon für Pläne haben? Mit euch kommt doch wieder Leben in die Bude. Sie hat endlich wieder jemanden, um den sie sich kümmern kann. Und dann wäre wenigstens ein Teil der Familie wieder zusammen.» Lotte blickt zufrieden in die Runde.
Leben in die Bude? Familienzusammenführung? Und wieso brauche ich jemanden, um den ich mich kümmern kann?
Sie
wollte den beiden doch mit
Rat
und
Tat
beistehen! Und nun halst sie mir das Baby auf. Wo bleibe ich dann bei der ganzen Geschichte? Meine Wünsche, meine Ziele?
Seit Lottes Auftauchen vor nicht mal vierundzwanzig Stunden hat sie das Hausregiment an sich gerissen und damit einfach alles über den Haufen geworfen. Ich meine, habe ich kein Anrecht auf die Erfüllung meiner Wünsche? Was ist mit meiner kleinen Traumwohnung in der Innenstadt? Muss ich bis ans Ende meiner Tage die ständig verfügbare Mutter spielen? Selbstverständlich helfe ich dem jungen Paar, aber irgendwie habe ich mir das anders vorgestellt. Mehr so als klassische Besucher-Oma. Ab und zu mal babysitten, wenn die jungen Eltern ins Kino wollen. Oder am Wochenende, wenn sie auf einer Party eingeladen sind. Meinetwegen auch eine ganze Woche lang, wenn Prüfungen anstehen. Aber gleich hier einziehen?
Mein Blick fällt auf Marie, die bisher noch kein einziges Wort dazu gesagt hat. Ob sie sich genauso überrollt fühlt wie ich? Haben Charlie und Lotte überhaupt gefragt, ob sie mit seiner Mutter und Großmutter unter einem Dach leben möchte? Kein Haus ist so groß, dass man sich ständig aus dem Weg gehen kann. Da ist der Ärger doch schon vorprogrammiert. Nicht zu vergessen die spießige Vorstadt und der weite Weg zur Uni.
«Also, was sagst du, Mama?», dringt Charlies Stimme in meine Gedanken.
«Ich glaube, mir wird schlecht.»
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9
W ährend Lotte mit den werdenden Eltern
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