Sie haben sich aber gut gehalten!
Lottes «misslicher Lage» wie ein Berg schmutziges Geschirr.
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8
V ollkommen außer Atem, kehre ich am Nachmittag vom Einkaufen zurück. Ich hab mich wahnsinnig gehetzt, um Lotte nicht zu lange unbeaufsichtigt zu lassen. So, wie sich die unberechenbare Hippie-Oma bisher benommen hat, scheint sie mir gefährlicher als eine versehentlich angelassene Herdplatte. Außerdem zieht mir der übervolle Einkaufskorb (mit Lottes Sonderwünschen) die Arme lang. Die wenigen Schritte vom Auto ins Haus genügen, um mir Schweißperlen auf die Stirn zu treiben.
«Bin wieder da!», rufe ich noch im Flur, während ich meine Jacke im Garderobenschrank verstaue.
«Wir sind hier!», erschallt es fröhlich aus dem Wohnzimmer. Das war eindeutig Lottes Stimme.
Aber wen meint sie bloß mit
wir
?
Bevor ich im Wohnzimmer nach dem Rechten sehe, wuchte ich schnell den Einkauf in die Küche. Bereits in der Tür schrecke ich zusammen. Hier sieht es aus, als befände ich mich bereits mitten im Umzug und hätte als Packer eine Horde Kleinkinder engagiert. Die meisten Schranktüren stehen offen, im Spülbecken liegen die Scherben einer Teetasse, und auf der Ablage stehen sämtliche Teedosen ohne Deckel rum. Dazwischen schwimmen Milchpfützen, und die wenigen noch freien Stellen sind mit Krümeln übersät. Der ausziehbare Mülleimer wurde herausgeholt und achtlos in die Ecke gestellt. Jede Menge Zellophanpapier und Keksverpackungen quellen heraus. Da muss ich nicht lange rätseln, wer dieses Chaos angerichtet hat.
Knurrig schließe ich die Dosen, stelle sie zurück an ihre Plätze, wische Milchpfützen und Brösel weg. Anschließend verstaue ich die verderblichen Lebensmittel im Kühlschrank und den Rest in den Schränken. Mit einer Mordslaune marschiere ich dann ins Wohnzimmer, um Lotte zur Rede zu stellen. Noch lieber würde ich sie sofort rauswerfen. Wenn sie hier wohnen will, muss sie sich an meine Regeln halten. Ansonsten bekommt sie massiven Ärger, und ich schiebe sie ohne lange Diskussion zu Volker ab.
Die Übeltäterin scheint aber keineswegs unter schlechtem Gewissen zu leiden, denn sie strahlt mich an wie ein Kleinkind, dem die Mama ein Überraschungsei mitgebracht hat.
«Rosy!», ruft sie vergnügt.
Lotte hat ihren blauen Kaftan gegen einen albernen rot-grünen Weihnachtspulli mit weißen Schneesternen ausgetauscht und sitzt mit Charlie und Marie bei Tee und Keksen um den runden Esstisch. In einer Vase stehen frische Tulpen, die mich, wie alle Blumen ohne Anlass, automatisch misstrauisch werden lassen. Vor allem, wo mich Charlie erst gestern mit einem Strauß überrascht hat.
«Hallo, Mama!» Charlie sieht nur kurz zu mir hoch und fummelt dann verlegen an seinem Schal, als habe er etwas ausgefressen.
«Guten Tag, Frau Wittgenstein.» Schüchtern lächelnd reicht Marie mir die Hand.
Ich treffe das schöne Mädchen mit den langen, dunklen Haaren heute zum dritten Mal. Einmal haben wir uns in einem Café gesehen, wo Charlie uns einander vorgestellt hat. Später begegneten wir uns beim Umzug, als ich einige Kartons in ihre erste gemeinsame Wohnung transportiert habe. Beide Male unterhielten wir uns nur kurz. Über ihr Germanistik-Studium, die Wohnung und das Wetter. Sie war mir auf Anhieb sympathisch, und bei beiden Begegnungen hatte ich den Eindruck, sie wäre eher ein stilles Wasser. Keines dieser ständig plappernden Mädchen, mit denen Charlie vorher befreundet war.
Wie gebannt starre ich jetzt auf ihren Bauch, der von einem zartgelben Kleidchen im Empirestil verdeckt wird. Eine deutliche Wölbung, die auf eine weit fortgeschrittene Schwangerschaft schließen ließe, kann ich nicht entdecken. Wie viel Zeit mir wohl noch bleibt, mich an den Gedanken, zu gewöhnen, Großmutter zu werden?
Marie ist gerade mal neunzehn, also beinahe selbst noch ein Kind. Na gut, Charlie ist vier Jahre älter und etwas reifer – hoffe ich jedenfalls. Doch wenn ich die beiden so betrachte, denke ich, dass sie eigentlich noch viel zu jung für Nachwuchs sind. Sie haben doch noch massig Zeit, um eine Familie zu gründen. Es wäre viel vernünftiger, wenn sie erst ihr Studium beenden.
«Du glaubst nicht, was passiert ist!», reißt Lotte mich aus meinen Überlegungen.
«Gerhard hat angerufen!?», platzt es ungewollt spöttisch aus mir heraus. Mein Wunsch, sie so schnell wie möglich wieder loszuwerden, ist einfach zu übermächtig. Und da sich Volker garantiert nicht freiwillig meldet, bleibt eigentlich nur der untreue
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