Sie haben sich aber gut gehalten!
Vorschlag. Du musst deshalb kein schlechtes Gewissen haben.»
Johns Antwort klingt bemüht freundlich und steht im krassen Gegensatz zu seiner genervten Miene. Offensichtlich hat er genug von mir und meiner Sippe. Verständlich. Doch die Fronten sind damit wohl auch geklärt.
«Aus welchem Jahr stammt das Objekt?», wechsle ich deshalb das Thema in geschäftsmäßigem Ton. Ich hoffe, er merkt, wie wichtig mir die Angelegenheit ist. Aber auf keinen Fall soll er mir meine Enttäuschung wegen seiner reservierten Haltung anmerken.
«Es wurde 1923 erbaut, ist also etwas jünger als euer Haus», antwortet John in ebenso nüchternem Tonfall, als wären wir lediglich Arbeitskollegen. Als müsste er mich einarbeiten. Als hätte er unseren leidenschaftlichen Kuss längst vergessen. Er fischt einen Schlüsselbund aus seiner schwarzen Ledertasche und weist mit der Hand in Richtung Eingang. «Lass uns reingehen.»
Durch einen gemauerten Torbogen führt ein Steinplattenweg zu einer halbrunden Treppe mit fünf Stufen zu der breiten Haustür. Stufen und Weg sind fast vollständig von Moos überwuchert. Wirkt irgendwie romantisch, finde ich. Den Interessenten werde ich natürlich sagen, dass sich Moosbefall problemlos mittels Sandstrahler-Reinigung entfernen lässt. Um diese Arbeit haben sich meine Jungs immer gestritten.
John schließt die ramponierte Doppeltür aus dunklem Holz auf. Unangenehmer Mief schlägt uns entgegen. Abgestandene Luft von der schlimmsten Sorte. Eine Mischung aus Staub, Feuchtigkeit und Küchengerüchen. Kein Zweifel, hier wurde seit Ewigkeiten kein Fenster geöffnet.
Ich folge ihm in eine hallenartige Diele, deren heller Marmorboden reichlich Risse aufweist. An den Wänden klebt verblichene grau-schwarze Streifentapete. An einer Stelle erkennt man die dunklen Umrisse einer Kommode sowie die eines Spiegels. Nahe des Eingangs baumelt eine Messing-Hutablage im Stil der 50 er-Jahre an der letzten Schraube. Bogenförmige Türen führen zu den Zimmern, und über eine breite Steintreppe gelangt man nach oben.
«Wie du siehst –» John wird vom Klingeln seines Handys unterbrochen. Er entschuldigt sich, nimmt den Anruf aber erst nach einem kurzen Blick aufs Display an. Es folgt ein einsilbiges Gespräch, in dem er mit monotoner Stimme nicht viel mehr als einige Male «Ja» sagt und sich dann mit einem «Bis später» verabschiedet.
Das war eindeutig ein privates Telefonat, denn so unfreundlich würde er doch keinen Kunden abfertigen. Ob es eine Frau war?, frage ich mich.
«Ich habe leider nur zwanzig Minuten Zeit, um dir alles zu zeigen», erklärt er nun leicht gehetzt. «Die Interessenten erscheinen um vier. Bis dahin kannst du dich in aller Ruhe nochmal in die Unterlagen vertiefen und dir auch die oberen Räume genauer anschauen.»
Plötzlich ist es Realität. Diese uralte heruntergekommene Villa, die bei näherem Hinsehen tatsächlich einer baufälligen Hütte gleicht, soll ich also heute vermakeln. «Hoffentlich geht das gut», schnaufe ich nervös und fühle meine Aufregung wachsen.
«Warum denn nicht?» Johns Tonfall drückt allerhöchste Verwunderung aus.
Fang jetzt bloß nicht an zu lamentieren, als wärst du noch nie aus deiner Vorstadt herausgekommen, mahnt mich eine Stimme in meinem Hinterkopf. Mein Bauchgefühl rät mir zu praktischem Verhalten. «Wir sollten die Fenster öffnen», schlage ich daher vor. Denn damit kenne ich mich wenigstens aus.
«Wäre das hier ein Einstellungstest, ginge jetzt der erste Punkt an dich», lobt John mich unerwarteterweise und deutet auf eine Flügeltür. «Da geht’s in den Salon und von da aus über eine große Terrasse in den Garten.»
Was John vornehm mit «Salon» bezeichnet hat, entpuppt sich als etwa sechzig Quadratmeter großer düsterer Raum. Erst als wir die klapprigen Holzjalousien der drei Fenster und der zur Terrasse führenden Tür hochziehen, fällt helles Sonnenlicht durch die schmutzblinden Scheiben ein und verwandelt den Raum. Trotz seiner traurigen Schäbigkeit wirkt er mit einem Mal romantisch wie auf einem alten Gemälde.
Einziehen kann man hier erst nach aufwendiger Renovierung, die vermutlich monatelang dauert. Im momentanen Zustand wäre der Raum aber die perfekte Kulisse für einen atmosphärisch dichten Schwarzweißfilm. Ein düsterer Krimi im Stil alter Hollywoodstreifen oder ein Melodram, in dem sich ein Liebespaar heimlich trifft.
«Du schaust so skeptisch», holt mich Johns Stimme aus meinen Reflexionen.
«Äh … nein,
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