Sie haben sich aber gut gehalten!
mutterseelenallein in einem heruntergekommen Haus. Für heute bin ich offiziell Immobilienmaklerin. Dass ich zum ersten Mal makle, muss ich ja niemandem verraten. Den Interessenten auf keinen Fall. Oder werden sie meine Unsicherheit spüren?
Darüber denke ich lieber nicht nach. Stattdessen lenke ich meine Aufmerksamkeit auf die vor mir liegende Aufgabe. Und die heißt: mich mit dem Haus vertraut machen. Die Fenster öffnen. Licht reinlassen.
Durch das Öffnen der Rollläden im Obergeschoss wird mein erster Eindruck vom Haus nicht positiver. Beim Blick in den verwilderten Garten entdecke ich einen einsamen Gartenzwerg mit roter Zipfelmütze. Die Kerle scheinen mich ja zu verfolgen. Oder habe ich in der Abgeschiedenheit unserer Vorstadt verpasst, dass Zwerge wieder groß in Mode sind?
Über den deprimierenden Zustand der anderen Zimmer täuscht auch die freundliche Nachmittagssonne nicht hinweg. Vom Standpunkt der Hausfrau aus gesehen, ist das hier eigentlich nicht vorzeigbar, denke ich und nehme mir fest vor: Sollte sich tatsächlich eine dauerhafte Zusammenarbeit mit John ergeben, werde ich auf vorheriges Säubern aller Räume und der Sanitäranlagen drängen. Zumindest besenrein, wie es so schön heißt.
Egal, spätestens in einer Stunde kann ich wieder verschwinden. Länger wird so eine Besichtigung wohl kaum dauern. Und wie mir die Zeiger meiner Armbanduhr melden, müsste das Arztehepaar jeden Moment erscheinen.
Ich sause nach unten und begebe mich als Empfangskomitee vor die Haustür, um meine ersten Kunden mit einem extra netten Lächeln von den Unzulänglichkeiten des Objekts abzulenken.
Zwanzig Minuten später warte ich immer noch auf die potenziellen Käufer. Doch als ehemalige Zahnarztgattin weiß ich ja, wie schnell Ärzte von Notfällen aufgehalten werden können. Großzügig gestehe ich ihnen weitere zehn Minuten zu.
Die Frist verstreicht, ohne dass auch nur ein Wagen durch die kleine Straße fahren würde. In Anbetracht der netten Provision, die John mir zugesichert hat, gedulde ich mich aber eine weitere Viertelstunde.
Dann versuche ich, ihn auf seinem Handy zu erreichen.
Besetzt!
Kurz darauf klingelt mein Handy.
Es ist John.
«Tut mir leid, Rosy», sagt er mit bedrückter Stimme. «Die Interessenten haben mich vor einer Minute angerufen und abgesagt.»
«Wie bitte?», schnaufe ich überrascht. «Das ist ja wohl ein Scherz!»
«Leider nein», bedauert er.
Ich kann es immer noch nicht glauben. «Aber warum?»
«Das Paar hat das Haus von außen gesehen, und danach waren sie nicht mehr interessiert. Allein der verwitterten Fassade nach zu urteilen, käme es nicht in Frage, war ihr Fazit. Sie erwarten in Kürze ihr drittes Kind und suchen etwas, das sofort bezugsfertig ist», erklärt er.
«Tja! Kinder sind die Antwort auf alle Fragen», antworte ich enttäuscht und frage, ob er nochmal zurückkommt.
«Nein, ich bin total im Stress», antwortet er gehetzt. «Ich habe noch eine Verabredung … ähm … einen Termin. Sei doch so nett und schließe das Haus ab.»
«Und was mache ich mit dem Schlüssel?»
«Das eilt nicht. Ich habe noch einen zweiten … Tut mir leid, Rosy, ich muss Schluss machen. Also bis dann», sagt er und legt auf, noch bevor ich mich verabschieden kann.
Eine Frage stelle ich mir nach Beendigung dieses seltsam unpersönlichen Gesprächs aber dennoch: Warum habe ich kein Auto vorbeifahren hören? In dieser Idylle hört man bei geöffneten Fenstern sogar ein Fahrrad.
Oder gibt es vielleicht überhaupt kein Arzt-Ehepaar, und John wollte lediglich testen, wie flexibel ich auf seinen Notruf reagiere? Wie ich mich beim Anblick eines derart baufälligen Objekts verhalte? Und wie geduldig ich auf Interessenten warte? Quasi ein Härtetest für angehende Maklerinnen?
Je länger ich beim Runterlassen der Rollläden darüber grüble, umso plausibler erscheint mir Möglichkeit zwei. Der Grund dafür ist Johns Bemerkung, als ich vorschlug, die Fenster zu öffnen:
Wäre das hier ein Einstellungstest, ginge der erste Punkt an dich!
Deutlicher hätte er es gar nicht sagen können. Dieser «Notfall» war nur ein Test! Keine Ahnung, ob ich ihn bestanden habe. Aber selbst wenn ja, frage ich mich ernsthaft, ob diese Makler-Sache überhaupt das Richtige für mich ist. Stundenlanges Rumstehen ohne Ergebnis ist in meinen Augen nicht gerade ein Traumjob.
Als ich die Haustür abschließe, fällt mir der einsame Gartenzwerg wieder ein. Der Arme. Keine Ahnung, warum, aber plötzlich packt
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