Sie haben sich aber gut gehalten!
nein», leugne ich ertappt und spüre, wie ich rot anlaufe. «Ich habe mich nur gefragt, warum dieses ehemals schöne Haus so vernachlässigt wurde.»
«Bis vor fünf Jahren wurde es von einer alleinstehenden alten Witwe bewohnt», antwortet John. «Als sie verstarb, ging das Anwesen an eine Erbengemeinschaft. Und wie es leider oft vorkommt, führten die einen langen Rechtsstreit. Doch nun soll das Objekt schnellstmöglich verkauft werden. Daher liegt der Preis auch weit unter dem, was man sonst für eine vergleichbare Immobilie in dieser gefragten Gegend ausgeben muss.»
Die wenigen Angaben wecken meine Neugier. Ich würde sehr gerne mehr über die Verstorbene erfahren. Doch John angelt eine graue Mappe aus seiner Tasche und drückt sie mir in die Hand.
«Hier drin, Rosy, befinden sich der Bauplan, ein Exposé und das Gutachten eines Sachverständigen, inklusive detaillierter Erläuterung seiner Ergebnisse», erklärt er mit geschäftiger Miene. «Die Bausubstanz ist zwar alt, aber von bester Qualität, und das Wichtigste: Die Ziegelwände sind trocken. Der Job ist also kinderleicht. Die Interessenten, ein junges Ehepaar, suchen seit langem ein großes Anwesen in dieser Gegend, da beide als Kinderärzte im Schwabinger Krankenhaus beschäftigt sind. Wir hatten das Haus nur mit der Außenansicht online gestellt, da die Innenräume einfach zu verwohnt wirken, wie du ja selbst siehst. Der Zustand sowie die anstehenden Renovierungsarbeiten wurden im Begleittext aber ausführlich beschrieben. Wir sind schließlich ein seriöses Unternehmen.»
«Hmm», murmle ich und schlage den Ordner auf. «Scheint wirklich ein einfacher Job zu sein.»
John nickt aufmunternd. «Deine Aufgabe besteht lediglich darin, die Vorzüge der Immobilie zu betonen. Also die Nähe zum Arbeitsplatz des Ehepaars, die zentrale, aber ruhige Gegend unweit des Englischen Gartens, die unzähligen Einkaufsmöglichkeiten in Schwabing und so weiter. Alle Details findest du im Exposé. Den verwohnten Zustand hingegen versuche herunterzuspielen, vermittle den Interessenten aber gleichzeitig das Gefühl, dass du nichts verschweigst. Dabei unterstützt dich das Gutachten. Seriosität ist ein wichtiger Grundsatz meiner Firma. Und wenn du noch dazu freundlich lächelst, kann gar nichts schiefgehen.»
Puh! Plötzlich klingt es überhaupt nicht mehr einfach. Eher nach trickreichem Agieren und Insider-Phrasen-Dreschen, von denen ich natürlich keine einzige kenne.
«Und wie verhalte ich mich, wenn Fragen auftauchen, die ich nicht beantworten kann?» Unsicher blättere ich in den Papieren.
«Das Exposé lässt eigentlich keine Fragen offen. Notfalls kannst du mich natürlich immer anrufen», beruhigt er mich. «Aber bitte nur, wenn es sich gar nicht vermeiden lässt. Es macht keinen kompetenten Eindruck, wenn du nachfragen musst. Ich habe jedoch keine Bedenken. So wie du mich durch euer Haus geführt hast, wird dir diese Aufgabe nicht die geringsten Schwierigkeiten bereiten. Wahrscheinlich erzielst du schneller einen Abschluss, als du dir jetzt vorstellen kannst. Und deine Provision wird dir doch bestimmt ein Ansporn sein.»
So erfolgssicher, wie John das beschreibt, möchte ich ihm gerne glauben. Dennoch bleibt ein winziger Rest Unsicherheit. Schließlich ist es keine Kunst, jemanden durchs eigene Haus zu führen, in dem man alle Ecken und sämtliche Macken kennt. Dieses hier dagegen habe ich vor fünfzehn Minuten zum ersten Mal betreten.
John blickt nervös auf seine Armbanduhr. «Ich muss los, Rosy. So weit alles klar?»
Sofort verspüre ich ein nervöses Kribbeln langsam vom Magen nach oben steigen. «Keine Zeit mehr, mir die obere Etage zu zeigen?», frage ich leicht panisch.
Er schiebt den Schulterriemen seiner Tasche zurecht und blickt abermals auf die Uhr. «Tut mir leid. Aber wenn ich mich jetzt nicht spute, schaffe ich es nicht rechtzeitig zu meinem Termin.»
Das war’s? Ein paar Erklärungen zu der mir bevorstehenden Aufgabe und Schluss! Ich kann nicht genau sagen, was ich beim Wiedersehen nach unserem Kuss erwartet habe. Aber ein verliebter Blick oder eine zärtliche Geste wäre doch das Mindeste. Stattdessen errichtet er eine unüberwindbar hohe Mauer um sich.
Na gut, dann eben nicht. Unnahbar sein kann ich auch. Ab sofort ist er für mich nur noch der Chef. Ich zwinge mich zu einem halbherzigen Lächeln und nicke. «Das verstehe ich natürlich.»
John verabschiedet sich mit flüchtigem Winken, und zehn Sekunden später stehe ich
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