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Sie kamen bis Konstantinopel

Sie kamen bis Konstantinopel

Titel: Sie kamen bis Konstantinopel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank S Becker
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Holztreppe und war bald bei einem kleinen Durchlass in der Stadtmauer angelangt. Die Bohlentüre stand offen, auf der Mauer waren keine Wachen zu erkennen. Sie humpelte hinaus und setzte sich auf einen Felsen zwischen große Eisenringe, an denen tagsüber Fischerboote vertäut lagen. Der Wind war hier stärker, er blies vom Meer und ließ die Ärmel ihrer Tunika sanft flattern. Grillen zirpten, Fledermäuse huschten als schwarzen Schatten über den Himmel, Wellen klatschten ans Ufer, zu ihrer Rechten erhoben sich die dunklen Konturen der Stadt.
    Pelagia erinnerte sich, dass sie vor einer Woche noch daran gedacht hatte, ihrem scheinbar sinnlos gewordenen Leben ein Ende zu setzen. Doch kein Weg war ihr zugleich sicher und schmerzlos genug erschienen, so dass sie immer wieder davor zurückgeschreckt war. Kurzzeitig hatte sie auch den Gedanken erwogen, in ein Kloster zu gehen, um so all den Mühsalen der Welt zu entfliehen. Doch bei einem solchen Dasein des Verzichts, des Gebets und der inneren Einkehr, das wusste sie, würde sie sich wie lebendig begraben vorkommen. Dafür war sie zu jung, zu lebenslustig, zu hungrig nach der Liebe eines Mannes. Mizizios – noch immer, wenn sie an ihn dachte, gab es ihr einen Stich, spürte sie seinen Körper auf dem ihren, seine sanften Hände, die ihre Brüste streichelten, und seine Männlichkeit, wenn er sie zuletzt nahm. Doch zugleich verachtete sie ihn ob seiner Weichheit, Schwäche und Feigheit. Sicher würde ihr das Schicksal erneut eine Chance geben. Vielleicht sollte sie in ihr Elternhaus zurückkehren? Aber falls es nach dem letzten Sarazenenüberfall nur mehr eine ausgeplünderte Ruine war? Was täte sie dann in Karthago – alleine, gescheitert? Zu alt, zu arm, um noch eine standesgemäße Partie zu sein?
    Sie wandte sich nach links, blickte gedankenversunken über das Meer, hinter dem ihre Heimat lag. Eine unendliche Fläche, im kalten Vollmondlicht schimmernd – und in der Mitte dunkelgraue Umrisse. Dutzende von Schiffen steuerten auf Syrakus zu! Erstaunt, dann beunruhigt beobachtete Pelagia das stumme Schauspiel. Woher konnten sie kommen? Die kaiserliche Flotte kämpfte vor Konstantinopel, die Langobarden hatten keine Schiffe, genauso wenig wie die Goten in Spanien oder die Franken. Und warum war kein einziges Licht an Bord zu sehen? Das konnte nur eines bedeuten …
    Sie sprang auf, glitt in einer Wasserlache aus und wäre beinahe gestürzt. Verzweifelt hinkte sie durch die kleine Pforte bis zum nächsten Turm, legte die Hände an den Mund und rief hinauf: »Zu den Waffen! Die Sarazenen kommen!«
    Nichts geschah. Erneut rief sie ihre Warnung, doch niemand rührte sich. Wahrscheinlich hockten die wenigen Soldaten, die nach dem Abzug der kaiserlichen Armee verblieben waren, in einer Wachstube beim Würfelspiel. Nur in einem nahe gelegenen Haus flackerte ein Licht in einem Fenster auf.
    Pelagia wurde von Panik erfasst. So schnell sie konnte, hastete sie zu der Herberge, die Treppe empor, hämmerte an Ursos Zimmertüre. »Aufstehen, schnell! Die Sarazenen überfallen die Stadt.«
    Wenig später öffnete ein schlaftrunkener Urso, dem das verstrubbelte Haar in die Stirne hing, und starrte sie bestürzt an.
    »Hast du schlecht geträumt?«
    Sie packte seine Hand. »Wir müssen fliehen! Ich war am Meer …«, keuchte sie. »Schnell, in die Festung!«
    Doch als sie auf die Straße stürzten, war es bereits zu spät. Eine sarazenische Vorhut musste bereits den Hafen erreicht haben, denn im südlichen Stadtteil flackerten Brände auf, Schreie hallten durch die Gassen und erste Flüchtlinge rannten ihnen entgegen. Ihnen folgten Bewaffnete, Männer mit Lederpanzern, die ihre Schwerter schwangen, während andere Fackeln trugen, deren Schein die Häuserwände in ein unruhig zuckendes Licht tauchte.
    »Los, zurück!« Urso packte Pelagias Hand und riss sie mit sich. »Raus aus der Stadt!«
    Doch der Fluchtweg nach Norden, über die Brücke, war gleichfalls versperrt. Auch von dort drangen Hilferufe, Waffengeklirr und das Geräusch zersplitternden Holzes.
    Wie ein gehetztes Reh sah sich Pelagia um. »In den Dom! Wenn wir viele sind und die Bronzetüren verriegeln, können wir uns dort verteidigen!«
    Urso nickte, wieder wandten sie sich um. Die Straßen waren jetzt voller Flüchtlinge, die kopflos durcheinanderliefen, Bündel mit Habseligkeiten geschultert, während andere ihre Häuser verrammelten. Auf dem Domplatz staute sich bereits eine Menschenmenge. Einzelne Wachen

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