Sie kamen bis Konstantinopel
untereinander Griechisch zu sprechen schien.
»Wie geht es deinem Fuß?«, erkundigte sich Urso leise.
»Nicht gut«, stöhnte Pelagia, »die Wunde ist wieder aufgeplatzt. Was meinst du, was sie mit uns machen werden?«
»Sicher als Sklaven verkaufen«, antwortete Urso niedergeschlagen. »Wenn wir nur wüssten, woher die Schiffe kommen …«
»Vielleicht aus Alexandria«, überlegte die junge Frau. »Viele Seeleute sprechen Griechisch, außerdem ist der Name vorhin gefallen.« Sie konnte ein bitteres Lachen nicht unterdrücken. »So kämen wir doch noch in die Stadt, die der große Kaiser Konstans zu erobern gedachte!«
Die folgenden Stunden vergingen ereignislos. Vor Müdigkeit erstarben allmählich die Stimmen der Gefangenen, so dass nur noch das Klatschen der Wellen gegen die Bordwand, das gelegentliche Flattern eines Segels oder das Pochen eines Taus gegen einen Mast zu hören waren. Pelagia lehnte sich an Urso, erschöpft fiel sie schließlich in einen von Albträumen erfüllten Schlaf. Als sie erwachte, ließen das Rauschen des Wassers und die wiegenden Bewegungen des Schiffes darauf schließen, dass sie bereits auf hoher See waren. Die Reise ins Ungewisse hatte begonnen.
***
Verglichen mit dem Elend der nächsten Tage erschien Pelagia ihre Zeit als Bettlerin bald wie ein Paradies. Zwar wurden die Gefangenen einmal am Tag zur Bordwand geführt, wo sie sich erleichtern durften, doch konnte nicht jeder bis dahin Blase und Darm im Zaume halten, so dass es im Unterdeck bald bestialisch stank. Als am zweiten Tag der Wind auffrischte und die Wogen in die Höhe wuchsen, fing das Schiff zu stampfen an. Immer mehr Gefangene befiel die Seekrankheit, unter Krämpfen würgten sie das Essen wieder hervor, das ihnen ein schweigsamer Matrose zur Mittagszeit ausgeteilt hatte. Dann wurde wohl der Kurs geändert, jedenfalls lief das Schiff nicht mehr vor dem Wind, sondern legte sich stärker auf die Steuerbordseite. Sogleich rann unter Deck eine Mischung aus Kot, Urin und Erbrochenem über die Bodenplanken, so dass die unten lagernden Gefangenen mit aller Kraft versuchten, nach oben zu kriechen. Ein wilder Kampf aller gegen alle entbrannte, bei der die Kräftigsten sich mit Fausthieben und Tritten durchsetzten und die Schwachen nach unten gedrängt wurden. Zu ihnen gehörten auch Urso und Pelagia, die ein grobschlächtiger Mann, in dem sie den Schmied erkannten, in die stinkende Brühe hinabstieß. Obwohl Urso sie stützte, fühlte Pelagia, wie ihr Verband durchfeuchtet wurde, und sie schauderte bei dem Gedanken, dass der Schmutz in ihre Wunde dringen könnte.
Nach einem weiteren Tag in dieser Hölle fühlte Pelagia ihre Kräfte schwinden. Der Fuß schwoll an und begann zu schmerzen, unter ihren Achseln bildeten sich Knötchen, Fieberschübe ließen sie immer länger in Bewusstlosigkeit versinken. Sie umklammerte den Stein, den ihr Patricius geschenkt hatte, doch auch das Amulett brachte keine Hilfe. Nur noch wie aus weiter Ferne vernahm sie, dass Urso aufgebracht den Wärter anschrie, als dieser mit dem Eimer voll des üblichen Fraßes erschien. Zu ihrem Erstaunen bemerkte sie, dass es ihr gleichgültig zu werden begann, was mit ihr geschah. Sie würde sterben, hier auf diesem Sarazenenschiff, und so zumindest dem Elend der Sklaverei entgehen. Sie spürte, wie sie angehoben wurde, gleich würde man ihre Leiche über Bord schleudern, hinein in die gischtigen Wogen. Immer tiefer würde sie sinken, hinab in das stille Dunkel des Meeres, um auf dessen Grund endlich Ruhe zu finden. Wasser würde ihre Lungen füllen, sie spürte es bereits im Mund, schluckte unwillkürlich und war erstaunt, dass es nicht salzig schmeckte, sondern wie Wein. Seltsame Fische näherten sich, beschnupperten sie, stupsten sie mit ihren Schnauzen an, hoben sie hoch, drehten sie auf die Seite. Bald würde, das wusste sie, der erste zubeißen. Sie fühlte, wie die Zähne an ihrem Fuß zu nagen begannen, spürte auf einmal einen brennenden Schmerz in der Wunde und hoffte, dass der Hai, oder was auch immer es sein mochte, bald den ganzen Fuß verschlingen möge, um ihrer Qual ein rasches Ende zu bereiten.
***
Als Pelagia das nächste Mal die Augen aufschlug, sah sie einen gelblichen Fleck, der langsam vor ihren Augen hin und her wanderte. Sie blinzelte und brauchte eine Weile, um zu begreifen, dass es die Sonne sein musste, die durch irgendetwas hindurch schien. Sie hob den Kopf, worauf eine Männerstimme aufgeregt zu rufen begann. Verwirrt sank sie
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