Sie kamen bis Konstantinopel
ergriff: Die Nägel waren zwar schmutzig und abgebrochen, die Finger jedoch feingliedrig und ohne die Hornhaut, die von langjähriger Plackerei zeugt. Aber als die Frau ihren Dank gemurmelt hatte und verschwunden war, wandte sich der Wirt achselzuckend dem Schmied zu, der am Nebentisch nach Wein verlangte.
Für die Bettlerin war dies der Beginn einer Glückssträhne. Auf ihrem Weg durch das Gedränge der Marktbesucher schob ihr eine Bauersfrau ein Stück Käse hin, während der Feigenhändler ihr einige nur leicht angematschte Früchte schenkte. Unter Dankesbezeugungen packte die Frau alles in ein Tragetuch und ging zur Maria Theotokus-Kirche, um sich neben dem Eingang auf die Stufen zu setzen.
Als sie fertig gegessen hatte, fühlte sie sich wohlig satt – zum ersten Mal seit Tagen. Sie lehnte sich zurück, bis ihr Rücken den warmen Stein berührte. Vor einigen Jahren war der uralte Tempel zum Dom der Stadt umgebaut worden, indem man die Zwischenräume der Säulen, die ihn umstanden, mit Mauerwerk geschlossen hatte. Das Bewusstsein, dass die Bewohner von Syrakus schon seit einem Jahrtausend zu diesem Ort pilgerten, um ihre Gottheit zu verehren, hatte etwas Tröstliches für die Bettlerin und ließ sie ihr jetziges Elend für eine Weile vergessen. Sie legte den Kopf zurück, schloss die Augen und genoss die Frühlingssonne. So bemerkte sie den jungen, feingliedrigen Mann nicht, der suchend über den Markt strich. Doch so oft er auch fragte, stets erntete er ein Kopfschütteln. Schließlich schlenderte er in Richtung der Kirche, stutzte, starrte zum Eingang, beschleunigte seine Schritte und rief in zweifelndem Ton: »Pelagia … seid Ihr es wirklich?«
Die Frau fuhr aus ihrem Halbschlaf empor. Unwillkürlich senkte sie den Kopf und wollte schon das Tuch vors Gesicht ziehen, als sie den Mann erkannte.
»Urso! Du hier?« Sie machte ihm rasch ein Zeichen, sich zu ihr zu setzen. »Leise, ich möchte nicht, dass man mich erkennt!«
Der Mann strich sich eine schwarze Haarlocke aus der gerunzelten Stirne und ließ sich zögernd neben ihr nieder. Verstohlen musterte er die junge Frau, ihr abgemagertes Gesicht, die schäbige Kleidung und den bandagierten Fuß.
»Was machst du hier?«, fragte sie verwundert. »Warum bist du nicht mehr in Rom?«
»Ich kam, um Euch zu suchen«, entgegnete Urso. »Als uns die Nachricht erreichte, die Truppen des Exarchen hätten die Usurpation des elenden Mizizios niedergeschlagen, wurde Patricius ganz unruhig …«
»Patricius ist in Rom?«, entfuhr es Pelagia. »Wie geht es ihm?«
»Gut, aber er macht sich große Sorgen um Euch, seitdem er von der Ermordung des Pogonatos erfahren hat.«
Als Urso den Spitznamen des toten Kaisers benutzte, sah Pelagia ihn prüfend an, überlegte, inwieweit sie dem jungen Mann die ganze Wahrheit anvertrauen konnte.
Urso fuhr indes fort. »Da er im Auftrag von Papst Vitalianus nach Konstantinopel reisen muss, fragte er mich, ob ich nicht nach Euch sehen könnte. Mir fiel gleich der weise Salomo ein, der gesagt hat: ›Eine Stadt freut sich, wenn's den Gerechten wohl geht, und wenn die Gottlosen umkommen, wird man froh.‹ Na ja, und da ich, sagen wir, aus persönlichen Gründen eine Ortsveränderung brauchte, passte das ganz gut in meine Pläne …« Er verstummte und sah die junge Frau mit schief gelegtem Kopf an. »Aber jetzt müsst Ihr berichten, wieso Ihr hier als Bettlerin hockt.«
»Das will ich, nur könnten wir woanders hingehen?«, erwiderte sie, als eine Horde kreischender Kinder begann, auf den Kirchenstufen Fangen zu spielen, »dazu brauche ich Ruhe. Und sag ruhig du zu mir, ich bin keine feine Dame mehr«, fügte sie mit leiser Bitterkeit hinzu.
Sie gingen zum Hafen, setzten sich in eine Ecke und Pelagia starrte über das Wasser. Wo sich ein halbes Jahr zuvor der Mastenwald der kaiserlichen Flotte erstreckt hatte, wiegten sich jetzt nur noch vereinzelte Fischerboote.
»Ich habe Glück, dass ich noch lebe«, begann sie leise. »Ich war nämlich die Geliebte dieses, wie du es ausdrückst, elenden Mizizios' …«
In der nächsten Stunde erzählte sie, was ihr seit dem fünfzehnten September, als sie sich noch auf dem Gipfel ihres Glücks wähnte, zugestoßen war. Wie Mizizios durch die jubelnde Menge zum Palast geschritten war, wie er Boten zum Papst nach Rom sowie nach Ravenna und Karthago gesandt hatte, um die Exarchen für sich zu gewinnen. Das bange Warten auf Antwort, die Wochen mit den ersten Herbststürmen und dann die
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