Sie kamen bis Konstantinopel
zurück und überlegte, wie das auf dem Grund des Meeres möglich sei. Nach einiger Zeit dämmerte ihr, dass sie wohl doch nicht tot war, sondern sich in einem Zelt auf dem Deck des Schiffes befand. Schritte näherten sich, am Eingang wurde der Vorhang beiseitegeschoben und jemand trat ein. Über Pelagia beugte sich ein hageres, bärtiges Gesicht, dessen Merkmale dunkle Augen, sonnengebräunte Haut und eine wulstige Narbe, die sich über die linke Wange zog, waren.
Der Fremde, offenbar ein Sarazene, musterte sie einen Moment, bevor er fragte: »Wie geht es dir?«
Pelagia brauchte einen Augenblick, um zu begreifen, dass er Griechisch sprach, wenn auch mit einem harten Akzent. Sie räusperte sich. »Ich fühle mich so schwach … ich habe Hunger.«
Der Mann rief einen unverständlichen Befehl, dann lächelte er ihr zu. »Gut, gleich wird warme Suppe kommen. Allah sei gepriesen, dass du noch lebst.«
»Was ist mit mir geschehen?«, fragte sie leise.
»Du hattest schweres Fieber, deine Wunde war vereitert. Ich habe unseren Hakim rufen lassen, der dir Wein gab, das brandige Fleisch wegschnitt, die Wunde säuberte und sie verbunden hat.«
Während Pelagia noch über diese Worte nachsann, wurde eine kleine Tonschale, aus der ein köstlicher Duft aufstieg, gebracht. Der Mann schob ihr ein Kissen unter den Nacken und begann, ihr mit einem Löffel vorsichtig warme Hühnerbrühe einzuflößen. Pelagia schluckte begierig, und als sie fertig war, fühlte sie sich bereits etwas weniger schwach.
»Danke«, sagte sie, »wer bist du?«
»Mein Name ist Daud Ibn Hassan, ich bin der Befehlshaber auf diesem Schiff«, entgegnete der Mann mit der Narbe.
»Wie kommt es, dass ich hier bin und nicht … nicht mehr da unten, in diesem widerlichen Loch?«
Daud sah sie nachdenklich an. »Einer der Gefangenen hat geschrien, immer wieder geschrien: ›Hilfe, Pelagia stirbt!‹ Als mir das gemeldet wurde, ließ ich dich an Deck schaffen.«
»Aber warum hat man mich nicht einfach sterben lassen? Ich muss doch schrecklich ausgesehen haben!«
»Das stimmt. Dreckig und stinkend, im Fieber lallend, mit verfilzten Haaren … Aber dann fiel das hier aus deiner Hand.« Er reichte ihr den Stein in Form eines Seeigels.
Pelagia nahm ihn und lächelte ungläubig. »Das hat dich bewogen, mein Leben zu retten? Dieser Überrest der Sintflut?«
»Ja«, entgegnete Daud, mit einem Male ernst, »denn ich habe genauso einen.« Mit diesen Worten griff er in eine Tasche und hielt einen ähnlichen Stein empor. »Vor vielen Jahren hat ihn mir eine Frau geschenkt. Sie war eine Nasrani, so wie du, jung und sehr mutig. Der drohenden Schande zog sie den Tod vor. Und sie war sehr schön, so wie du …« Er verstummte, fuhr jedoch kurz darauf mit unbewegter Stimme fort. »Hast du noch einen Wunsch?«
»Ja, lass bitte auch den Gefangenen heraus, der mir durch sein Rufen das Leben gerettet hat. Er heißt Urso.«
»Ist er dein Mann?«, fragte Daud scharf.
»Nein, natürlich nicht«, entgegnete Pelagia, ohne ihre Verwunderung zu zeigen. »Er ist nur … eine Art Diener, dem ich zu Dank verpflichtet bin.«
»Dann sei dir die Bitte gewährt«, entgegnete der Sarazene und verließ das Zelt.
Die nächsten Tage verbrachte Pelagia in Ursos Gesellschaft. Sie führten lange Gespräche – über seine Jugend als Walche unter Bajuwaren, seine Zeit in Rom, über Religion und über Patricius. Zwischendrin versank sie in den Schlaf der Erschöpfung, um erneut vom Knattern der Segel oder den patschenden Füßen der Matrosen geweckt zu werden. Einmal am Tag kam der schweigsame Hakim, wechselte den Verband, reinigte die Wunde und stäubte etwas Grünes hinein – Brotschimmel, wie Daud auf ihre verwunderte Nachfrage hin erklärte. Die Heilung machte rasche Fortschritte, und dank guter Nahrung kam Pelagia immer mehr zu Kräften. Nachts schlief sie in einem Verschlag unter Deck, doch tagsüber wurde, sofern der Wind nicht zu stark war, ihre Liege oben unter einem Sonnenschutz aufgestellt. So konnte sie über die endlose, in der Sonne glitzernde Fläche des Meeres blicken, in dem zu ihrem Entzücken gelegentlich Delphine auftauchten, die das Dutzend Schiffe der Sarazenenflotte mit ihren verspielten Sprüngen begleiteten. Im Süden, doch zu weit, um sie auch nur erahnen zu können, zog die tripolitanische Küste an ihnen vorüber. Irgendwo jenseits des Horizonts musste Leptis Magna liegen, wo Pelagia vor bald siebenundzwanzig Jahren das Licht der Welt erblickt hatte. Doch
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