Sie kamen bis Konstantinopel
Jetzt kennst du meine ganze Geschichte.«
Pelagia verstummte und Urso nickte mitfühlend. »Du Arme, da erging es mir besser.« Er lächelte sie aufmunternd an und stand auf. »Komm mit, wir kaufen dir neue Kleider und besorgen dir ein Zimmer in meiner Herberge.«
»Wieso kannst du dir das leisten? Woher hast du so viel Geld?«, wollte sie wissen, während sie sich ebenfalls erhob.
Urso sah verlegen drein, während sie in Richtung des Stadtzentrums gingen. »Nun ja, ich hatte doch davon gesprochen, dass ich mal aus Rom wegwollte.«
»Hast du etwa einen Raubüberfall begangen?«
»Wo denkst du hin!«, wehrte er empört ab. »Du weißt doch, dass ich mein Geld damit verdiente, fremde Pilger zu führen.«
»Ja, und das bringt so viel ein?«
»Leider nicht«, entgegnete der junge Mann betrübt. »Aber dann kam mir eine Idee! Vor allem die Griechen wollten unbedingt Märtyrerknochen mitnehmen. Wenn ich ihnen die Katakomben zeigte, schnüffelten sie immer in den Ecken herum und waren enttäuscht, dass sie nichts fanden. War es denn meine Schuld, dass die Gebeine schon damals bei der Gotenbelagerung in die Stadt geschafft wurden?«
»Nein, natürlich nicht«, stimmte Pelagia zu.
»Eines Tages kam mir der Zufall zur Hilfe. Ein alter Mann erzählte mir von einem Ort, wo man einst die Pesttoten verscharrt hatte. Ich ging hin und stell dir vor – haufenweise Knochen! Gleich hab ich einen Sack voll mitgenommen und etwas davon in einer abgelegenen Katakombe versteckt. Da, wo sonst keiner hinkam. Vor den nächsten Pilgern fing ich dann an rumzumunkeln, bis sie richtig heiß waren. Daraufhin hab ich was von meiner schwerkranken Frau geseufzt, und als sie ordentlich ihren Geldbeutel aufgemacht hatten, ließ ich sie unter dem Siegel der Verschwiegenheit in die Katakombe. Zum Grab des heiligen Nemo – waren die vielleicht glücklich!«
Pelagia schüttelte den Kopf. »Und das ging gut?«
»Ziemlich lange sogar«, schmunzelte Urso. »Die Reliquien haben wirklich geholfen! Einmal bekam ich sogar einen Dankesbrief von einem Mönch aus Thessalonika, der damit einen Lahmen geheilt hat. Warte mal, den hab ich noch irgendwo …«
»Lass ruhig«, winkte Pelagia ab, »aber warum musstest du weg?«
»Ein dummes Missgeschick. Beim Nachschubholen sind mir irgendwie Ziegenknochen dazwischengeraten. Vielleicht ist das arme Vieh ja auch an der Pest verreckt, was weiß denn ich. Keine Ahnung, wie mir so etwas hat passieren können. Dabei komm ich von einem Bauernhof!«
Pelagia lachte. »Und weiter?«
»So ein blöder Grieche hat deswegen einen üblen Aufstand gemacht. Zur Beruhigung hielt ich ihm die vom Papst unterschriebene Bestätigung unter die Nase, dass die Reliquien echt sind …«
»Der Papst hat dir das bestätigt?«
»Naja, nicht persönlich. Der hatte keine Zeit, da musste ich selbst zur Feder greifen.«
»Ich verstehe«, nickte Pelagia mit hochgezogenen Augenbrauen. »Und was tat der Grieche?«
»Die Urkunde zerrissen hat er und rumgebrüllt, dass der Putz von den Wänden fiel. Ich solle ihm sofort das Geld zurückgeben, mein Heiliger sei bloß Schwindel, gleich würde er zum Lateran rennen und beim Papst dafür sorgen, dass man einen Betrüger wie mich ins Loch steckt!«
»Was ich sogar verstehen kann«, warf Pelagia belustigt ein. »Was hast du getan?«
»Als guter Christ ihm seinen schnöden Mammon vor die Füße geworfen. Schließlich sagt der weise Salomo: ›Ein Tor zeigt seinen Zorn alsbald, aber wer Schmähung überhört, der ist klug.‹ Anschließend bin ich getürmt und mit dem Geschäft war's vorbei. Ich musste mich verstecken, und als mich dann Patricius gefragt hat – naja, den Rest kennst du. Aber hier«, bei diesen Worten wies er auf ein Gasthaus vor ihnen, »hier wohne ich und für dich gibt es sicher auch Platz! Dazu ein warmes Bad und einen Arzt!«
***
Zwei Tage später erwachte Pelagia mitten in der Nacht. Den ganzen Tag hatte die Sonne so unbarmherzig gebrannt, dass selbst jetzt noch stickige Luft das Zimmer erfüllte. Sie ging langsam zum Fenster, darauf bedacht ihren verletzten Fuß nicht unnötig zu belasten. Zwar hatte der von Urso gerufene Arzt die Wunde gereinigt, die Schmerzen hatte er aber nicht lindern können und ihr Schonung verordnet. Als sie hinaus auf die Gasse sah, die verlassen im Mondschein lag, erfüllte sie plötzlich wieder Sehnsucht nach Weite, nach einer frischen Brise, nach dem Rauschen des Meeres.
Sie zog sich an, verließ die Herberge über eine seitliche
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