Sie kamen bis Konstantinopel
brüllten Befehle, auf die keiner achtete, Frauen und Kinder kreischten, dumpf bellte ein Hund. Über allem erhob sich im Licht des untergehenden Vollmondes die dreieckige Tempelfassade mit den vermauerten Säulen und dem großen, nach außen offenem Portal. Urso versuchte, für sich und Pelagia den Weg dorthin zu bahnen, mitten durch die schreienden, um sich schlagenden Menschen. Da wurde die junge Frau von einem grobschlächtigen Mann zur Seite gestoßen, der jedem, der sich ihm in den Weg stellte, wüste Drohungen entgegenschleuderte, wobei er einen langstieligen Hammer schwang. Urso zog Pelagia mit sich, sie folgten dem Schmied, der sich seinen Weg durch die Menge pflügte. Schnell gelangten sie bis kurz vor das Portal, vor dem ein verzweifelter Kampf im Gange war. Mehrere Männer versuchten, die Nachdrängenden abzuwehren und zugleich die bronzebeschlagenen Türen offen zu halten, um ihre Frauen und Kinder in den Dom schlüpfen zu lassen. Der Schmied hob drohend seinen Hammer, und als ihm nicht sofort den Weg freigemacht wurde, ließ er sein Werkzeug auf den Arm eines der Männer niedersausen. Ein Krachen von splitternden Knochen, gefolgt von einem Schrei, der Getroffene taumelte zurück. Die anderen Männer ließen die Türflügel los und sprangen in das nachtschwarze Innere der Kirche. Der Schmied wollte ihnen folgen, doch er war nicht schnell genug. Vom Rand des Platzes kreischte eine Frau: »Sarazenen!«; ein Ruf, der sich durch die Menge fortpflanzte und Panik auslöste. Alle drängten nach vorne, zu den Stufen des Doms. Wie eine Woge brandeten nun die Leiber der verängstigten Menschen gegen das Portal, drückten immer stärker gegen die beiden Flügel, bis diese sich mit einem lauten Knall schlossen.
»Aufmachen!«, brüllte der Schmied, ließ seinen Hammer fallen und schlug mit der Faust gegen die Bronzebeschläge. »Aufmachen, ihr Hundesöhne!«
Doch die einzige Antwort war das Kreischen der innen vorgeschobenen Riegel. Während der große Mann erst schreiend auf das Portal einschlug, dann plötzlich hilflos die Fäuste sinken ließ und in Tränen ausbrach, versuchte Urso, Pelagia wegzuziehen. »Wir müssen uns verstecken«, keuchte er, »kennst du einen Ort?«
»Der Quellteich!«, presste sie schwer atmend hervor.
Zu spät, die Sarazenen hatten den Domplatz umstellt. Mit gebrüllten Befehlen begannen sie, die eingekesselte Menschenmenge in kleine Gruppen aufzuteilen. Am Rand stand ein Anführer mit Turban, der die Gefangenen musterte. Mit seinem Schwert zeigte er auf kräftige Männer und hübsche Frauen. Diese wurden sogleich zum Hafen getrieben, unter dem Gejammer von Ehefrauen und -männern, Eltern, Kindern, die sich vergeblich an sie zu klammern versuchten. Immer näher kamen die Sarazenen der Stelle, wo sich Urso und Pelagia inmitten der verängstigten Menschen aneinander drängten, als könnten sie so ihrem Schicksal entgehen. Zuletzt standen sie vor ihnen – dunkelhäutige Männer mit Pluderhosen, die drohend ihre Schwerter gezückt hielten.
»Mitkommen!«, herrschte einer das Dutzend zitternder Menschen an, das ihm wie Schafe zur Schlachtbank folgte. Der Anführer mit dem Turban wählte einige aus, darunter Urso und Pelagia, die sogleich gefesselt wurden.
»Kommt mit zu den Schiffen!«, befahl einer der Bewaffneten, und Pelagia fiel trotz all der Schrecken auf, dass er fehlerfrei Griechisch sprach. Während sie dem Mann hinterherstolperte, sah sie die Plünderer versperrte Haustüren einschlagen, während andere mit silbernen Kelchen und Kerzenleuchtern beladen aus Kirchen kamen. Auch das Tor des Lagerhauses, in dem Konstans die Beute seines Romaufenthalts gestapelt hatte, stand weit offen. Davor flackerten Fackeln, in deren Schein ein halbes Dutzend Sarazenen dabei war, eine vergoldete Bronzestatue auf einen Handkarren zu hieven. Wie ein hilfloser Gruß ragte der zur Siegesgeste gereckte Arm des Kaisers in den Höhe, als der Karren, von einigen Gefangenen gezogen, zum Hafen rumpelte.
Dort angekommen wurden die Gefesselten auf die Schiffe verteilt, wobei es Pelagia und Urso gelang, zusammenzubleiben. Man stieß sie unter Deck in einen finstereren Laderaum, wo sie sich bald mit Dutzenden anderer Leidensgenossen vereint fanden. Stöhnen und Fluchen erfüllte den Raum, dazwischen leise gemurmelte Gebete und das Schluchzen einer Frau. Von draußen drangen nur die kehligen Laute zu ihnen, in der die Sarazenen ihre Befehle erteilten, während ein großer Teil der Schiffsbesatzung
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