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Sie kamen bis Konstantinopel

Sie kamen bis Konstantinopel

Titel: Sie kamen bis Konstantinopel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank S Becker
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während durch das offene Fenster das Gezwitscher der Vögel drang.
    »Wo … wo ist mein Kind?«, flüsterte Pelagia.
    Schritte näherten sich, dann blickte Marias erschöpftes Gesicht auf sie herab.
    »Ruhig, ganz ruhig«, sagte sie und nahm Pelagias Hand.
    »Geht es ihm gut? Ist es ein Junge? Zeig ihn mir!«
    »Ja, gleich, aber nicht aufregen. Alles wird gut.«
    »Warum ist mein Kind nicht bei mir? Ist etwas nicht in Ordnung?«
    »Doch, aber …«
    »Was soll dieses aber?« Pelagia richtete sich mit unerwarteter Kraft auf, so dass die Seidendecke auf den Boden glitt. »Wo ist mein Kind?!« Sie ergriff Marias Hand und starrte verzweifelt in das hässliche Gesicht mit den vielen Warzen. »Wo ist mein Kind!!!«

Kapitel 10
    Bittere Wahrheit
(672-673 n. Chr.)
    »Dann schickten sie eine Botschaft an den Kaiser der Griechen, die besagte: Gott hat dieses Land zum Erbe unserem Vater Abraham und seinen Nachkommen nach ihm gegeben, überlasst es uns friedlich, und wir dringen nicht in dein Territorium ein; wenn nicht, nehmen wir dir mit Wucherzinsen das ab, was du dir genommen hast. Der Kaiser lehnte ab und sagte, ohne ihnen eine befriedigende Antwort zu geben: Das Land gehört mir, dein Erbe ist die Wüste; geh in Frieden in dein Land.«
    Sebeos , Geschichte des Herakleios, über die Araber (7. Jh.)
    Der Stoffball baumelte über dem Kopf der Katze, die immer wieder emporsprang und mit der Pfote danach schlug. Doch stets zog das Kind blitzschnell die Schnur hoch, so dass das Tier seine Beute aufs Neue verfehlte.
    »Gata!«, erklärte das kleine Mädchen ernst.
    »Ja, das ist eine Katze«, lächelte die Frau, die sich immer wieder über die Leichtigkeit wunderte, mit der Fatima arabische wie lateinische Wörter aufsog.
    Sie sah sich um. Die Sonne stand schon tiefer, ihre flachen Strahlen drangen jetzt unter die Stoffbahnen, die während der Mittagszeit für Schatten sorgten. Hier, auf dem flachen Dach ihres Hauses, war Pelagias Lieblingsplatz. Der weite Blick über die Stadt, der bis zum Dreiecksgiebel der Johanneskathedrale und zu der grünen Kuppel des Kalifenpalastes reichte, milderte das Gefühl, im Haus gefangen zu sein. Zwar durfte sie, wenn auch verschleiert, Ausflüge in das Gassengewirr von Damaskus unternehmen. Doch immer wenn Daud davon erfuhr – wofür meist Sergios Sorge trug –, folgten ermüdende Auseinandersetzungen. Was sie dort gewollt habe, warum das nicht Diener hätten erledigen können, mit wem sie gesprochen habe, ob sie zu Hause nicht glücklich sei. Vor allem seit ihr zweites Kind, wieder ein Mädchen, tot zur Welt gekommen war, schien Daud noch verschlossener geworden zu sein. Sie war seine Sklavin, hatte ihn enttäuscht – das ließ er sie spüren. »Soll ich deinetwegen ohne Söhne sterben? Als schwanzloser Mann, wie man bei uns sagt?«, war es ihm vor einer Woche während eines Wortwechsels entfahren. Mit Tränen in den Augen hatte Pelagia die kleine Fatima an sich gerissen und war in den Haram gelaufen. Durch die Türvorhänge hatte sie hören können, wie Daud die Diener anschrie, seine Reisesachen fertig zu machen.
    Heute, das hatte sie Schirin entlocken können, würde er zurückerwartet. Noch immer verhielt sich ihre Schwiegermutter unnahbar, wie eine Statue aus Stein. Nur einmal, als Pelagia nach der zweiten Geburt entkräftet auf ihrem Bett gelegen hatte, das Gesicht tränenüberströmt, war sie gekommen, um ihr die Hand zu drücken.
    Plötzlich schallten Stimmen aus dem Hof herauf und rissen Pelagia aus ihren Gedanken. Sie lief zur Brüstung, sah hinunter und erblickte Daud auf seinem Pferd. Auf einmal durchströmte Wärme ihr Herz, sie freute sich, ihn wiederzusehen, ihn in die Arme schließen zu können und die Nacht mit ihm zu verbringen. Gewiss würde sie ihm auch noch Söhne schenken, trotz ihrer fast dreißig Jahre war sie noch nicht zu alt.
    Da sah sie Daud absteigen und zu einem niedergeknieten Kamel gehen, das einen Baldachin auf dem Rücken trug. Er schob den Vorhang beiseite und half einer verschleierten Frau heraus. Den Bewegungen nach musste sie jung sein, und die Art, wie Daud sich um sie bemühte, versetzte Pelagia einen Stich. Dann verschwanden sie zusammen im Haus, gefolgt von Dienern, die das Gepäck trugen. Langsam atmete Pelagia aus und lockerte ihre Hände, deren Finger sich in die Ballen gegraben hatten. Sie ging zu ihrer Tochter, nahm sie auf den Arm und stieg zu ihren Gemächern hinab, gefolgt von der leise maunzenden Diana. Dort ließ sie sich von den

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