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Sie kamen bis Konstantinopel

Sie kamen bis Konstantinopel

Titel: Sie kamen bis Konstantinopel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank S Becker
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golden glänzender Bronzeschlüssel mit feinem Bart in die Hand fiel. Am Samstag der Folgewoche war Daud zusammen mit anderen Mitgliedern des Hofstaates im Palast des Kalifen eingeladen. Das hatte er Schirin erzählt und hinzugefügt, dass es gewiss spät werden würde, vielleicht sogar früher Morgen. Schirin wiederum hatte es voll mütterlichen Stolzes Pelagia anvertraut.
    Der nächste Sonntag verging wie üblich. Gelangweilt begleitete sie der Nubier zur Kirche, um sich dann mit einigen anderen Sarazenen in den Schatten der Säulenvorhalle zu setzen. Während des Gottesdienstes erblickte Pelagia Urso, der sie fragend ansah. Sie nickte, hob vier Finger und machte mit beiden Händen eine Bewegung, als flattere ein Vogel. Er kniff ein Auge zusammen, lächelte und wandte sich ab.
    Vier Tage später nahm Pelagia ein Papyrusstück, schrieb eine kurze Botschaft in romanischer Volkssprache darauf, faltete das Blatt sorgfältig zusammen, nahm die Taube aus dem Käfig und band ihr den Brief ans Bein. Den sich sträubenden Vogel in der Hand ging sie zum Fenster, sah hinaus, gewahrte niemanden und ließ die Taube in die Freiheit flattern. Mit klopfendem Herzen setzte sie sich auf ihr Bett und streichelte geistesabwesend Diana, die dort vor sich hin döste. Jetzt hing alles von Gottes Hilfe ab: Würde die Taube sicher an ihr Ziel kommen, würde die Nachricht nicht in falsche Hände geraten, würde der Empfänger das tun, worum sie ihn gebeten hatte? Noch drei Tage …
    Am Samstagabend ließ Pelagia ihre Türe unverschlossen und eine Öllampe in ihrem Zimmer brennen. Angezogen setzte sich auf ihr Bett, um zu warten. Stunde um Stunde verstrich, bis ein Blick aus dem Fenster auf den niedrig stehenden Mond zeigte, dass Mitternacht vorbei sein musste. Leise öffnete sie die Türe zum Gang, den kleinen Schlüssel in der linken Faust. Auf Zehenspitzen schlich sie bis zu dem Teil des Hauses, in dem Dauds Räume lagen. Da er es als Nachfahre von Wüstenbewohnern hasste, eingesperrt zu sein, wurden die Durchgänge nur durch schwarze Kamelhaarvorhänge verschlossen.
    In einer Nische links vom Eingang schnarchte sein Diener. Er grunzte leise im Schlaf, als Pelagia vorbeischlich, drehte sich aber nur auf die andere Seite. Sie schob den nächsten Vorhang beiseite und fand sich in einem Vorraum, von dem es links zum Arbeitszimmer, rechts zum Schlafzimmer ging. Weiche Teppiche bedeckten den Boden, so dass ihre Schritte unhörbar wurden. Dennoch stockte sie. Sie hätte nicht genau sagen können, was sie hier eigentlich suchte. Den kleinen Schlüssel nachzumachen, war ein aus Rachegelüsten geborener Einfall gewesen. Aber jetzt? Warum gefährdete sie ihren ganzen sonstigen Plan? Ihr Herz hämmerte, und einen Augenblick war sie nahe daran, sich wieder hinauszustehlen. Doch dann fasste sie sich ein Herz, ging ins Arbeitszimmer und sah sich im kalten Schein des Mondes um.
    Ein Schreibtisch mit Papyrusbögen, dahinter ein Stuhl, zwei Regale, in der Ecke die eisenbeschlagene Kiste. Aufmerksam blätterte sie die Aufzeichnungen auf dem Tisch durch. Die arabische Schrift, die sie noch immer nicht richtig beherrschte, war in dem schwachen Licht nur schwer zu entziffern, doch schien es sich um nichts von Bedeutung zu handeln. Sie legte die raschelnden Blätter wieder hin, ging zu der Kiste und steckte den kleinen Schlüssel ins Schloss. Er klemmte. Vorsichtig ruckelte sie – wieder nichts. Noch ein Versuch, diesmal mit mehr Kraft. Endlich ließ sich der Schlüssel bewegen, sie konnte den Deckel öffnen. Innen erfühlten ihre tastenden Hände einen Blätterstapel. Sie nahm alles heraus und ging zum Fenster. Oben lagen arabisch beschriebene Bögen. Ein Teil des Korans, die vierte Sura: ›Über die Frauen‹, wie sie schmunzelnd feststellte. Danach folgten Briefe von Statthaltern der Küstenstädte. Ein Wust von höflichen Floskeln, gefolgt von irgendwelchen Einzelheiten der Holzbeschaffung für den Flottenbau. Als nächstes kam eine alte, griechisch geschriebene Abhandlung: ›Über die Wirkung der Brennspiegel‹, verfasst von einem gewissen Diokles, die sie gleichfalls enttäuscht zur Seite legte. Doch unten, ganz zuletzt, fand sie einen mit einem Band zusammengebundenen Stapel. Im Mondlicht erkannte sie die Karte, die Daud bei ihrem letzten Besuch so hastig beiseitegeschoben hatte. Sie starrte auf die gezeichneten Küstenlinien, die markierten Untiefen und Strömungen. Die Beschriftung war in Griechisch verfasst, der Sprache der Verwaltung der

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