Sie kamen bis Konstantinopel
gut siebzig Meilen weiter nördlich, unweit der Stadt Emesa. Sie war einfach gekleidet, in ihrer Begleitung ritten zwei Männer – ein etwa gleichaltriger mit schwarzen Locken, der alte, abgetretene Sandalen trug, die Pelagia immer wieder unangenehm ins Auge stachen, sowie ein älterer, rundlicher mit kahlem Schädel.
Pelagia hatte eigentlich erwartet, dass ihr Urso einen Diener anheuern würde, um sie auf der Reise zu beschützen. Umso erstaunter war sie gewesen, dass nicht nur er selbst mitkommen wollte, sondern auch Kallinikos.
»Ach weißt du«, Urso zuckte mit den Schultern, »mein Freund hat natürlich beim Kalifen kein Gehör für seine Klage gefunden. Der Schatten Allahs braucht willige Diener, die ihm viele Dinare für seinen Krieg gegen den Kaiser eintreiben. Da kann er sich Milde nicht leisten. Aber hatte ich es nicht vorher gesagt?«
Der Kahlkopf blickte finster drein und nickte stumm.
Urso fuhr fort. »Als er sich beschwerte, wurde er sogar aus dem Palast geworfen. Aber wie der weise Salomo sagt: ›Es ist schon nicht gut, dass man Unschuldige Strafe zahlen lässt; aber den Edlen zu schlagen, geht über alles Maß.‹ Nun will mein Freund nicht länger unter der Herrschaft dieses Königs der Araber leben. Nicht wahr?«
»Man presst mir Steuern ab, obwohl ich nichts verdienen kann«, knurrte Kallinikos. »Neue Kirchen dürfen nicht mehr gebaut werden. Und das Sarazenenbethaus, die Masdjid, ist nur ein Bretterverschlag.« Er schüttelte unwillig den Kopf. »Diese Wüstenleute haben einfach keinen Sinn für schöne Architektur. Daran ist ihr Prophet schuld. Wisst ihr, was er gesagt haben soll, als eine seiner Frauen in seiner Abwesenheit das Haus verschönern ließ?«
Pelagia schüttelte den Kopf.
Kallinikos imitierte die Gestik eines Predigers und erklärte mit feierlicher Stimme: »›Wahrhaft, das unnützeste Ding, das den Wohlstand der Gläubigen verzehrt, ist das Bauen!‹ Könnt ihr euch eine größere Verblendung vorstellen?«
»Steh das in diesem Koran?«, lachte Urso.
»Nein, aber es wird so überliefert. Was soll ein Baumeister unter derart hirnlosen Kamelen?«
Pelagia schmunzelte. »Aber was ist mit dem Kalifenpalast?«
Kallinikos winkte verächtlich ab. »Dieser Ziegelhaufen? ›Der obere Teil ist für die Vögel geeignet, der untere für die Ratten‹ – so spottete mir gegenüber ein Gesandter des Kaisers, der das Innere betreten durfte«, er schüttelte entschieden den Kopf. »Nein, ich muss hier weg!«
»Das verstehe ich«, nickte Pelagia mitfühlend. »Aber wohin soll deine Reise gehen?«
»Nach Konstantinopel, wie Eure auch. Zum einzigen Ort, wo es vielleicht noch Aufträge für einen Architekten geben könnte. Zumindest andere, als schöne alte Tempel abzureißen, um hastig grobe Befestigungen aufzutürmen«, bemerkte er bitter und spuckte auf den Weg.
»Dann freue ich mich auf eine gemeinsame Reise«, sagte Pelagia und wandte sich wieder an Urso. »Aber du?«
»Nun, was soll ich sagen?« Urso seufzte. »Anfangs ging es ja. Aber inzwischen wünsche ich diesen beutelüsternen Sarazenen die Pest an den Hals. Schon jetzt kommen fast keine freigiebigen christlichen Pilger mehr. Dieser unselige Krieg wird mein Geschäft gänzlich zugrunde richten. Da habe auch ich mich entschlossen, lieber von hier zu verschwinden. Leider ist die Handelsschifffahrt zum Kaiserreich bereits eingestellt. So müssen wir den mühseligen Landweg nehmen.«
Pelagia nickte und erzählte nun ihr Schicksal, wobei sie immer wieder Einzelheiten ihrer List schildern musste: Wie Helena und sie heimlich im Bad geübt hatten, die Stimme der jeweils anderen nachzuahmen, wie Helena die Schlüsselkopien hatte anfertigen lassen und wie sie im Gewölbe unterhalb der Johanneskathedrale die Kleider vertauscht hatten. Danach, so der Plan, sollte Helena in der Sänfte zurückkehren, um im Haus Pelagias Anwesenheit vorzutäuschen, bis sie sich selbst davonmachen konnte.
Pelagia sandte Stoßgebete gen Himmel, dass der treuen Dienerin dies alles geglückt sein möge und ihr Kopf fuhr jedes Mal nervös herum, sobald sie auf dem Weg hinter sich Hufgetrappel vernahm. Doch niemand achtete auf die drei Reisenden, die in der Julihitze nach Norden zogen. Wenn sie jemand nach dem Ziel ihrer Reise fragte, so erzählten sie stets, dass sie zur Kirche des Säulenheiligen Simeon pilgerten, woraufhin jeder Christ anerkennend nickte. Dennoch mieden sie belebte Zentren, trafen erst spät in den Herbergen ein und verließen sie meist
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