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Sie kamen bis Konstantinopel

Sie kamen bis Konstantinopel

Titel: Sie kamen bis Konstantinopel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank S Becker
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du das geschafft? Was hast du herausgefunden?«
    »Ich habe vorgegeben, eine Tante zu sein. Das Mädchen heißt Irene, stammt aus einem Dorf bei Ephesos und wurde von ihrem Vormund an die Männer des Statthalters verkauft. In der Hauptstadt soll sie Dienerin bei einer adeligen Familie werden, wie die anderen auch. Wo, weiß sie selbst nicht. Alle freuen sich sehr darüber, endlich dem Elend ihrer Dörfer entronnen zu sein.«
    »Die Dummerchen!«, hörte Pelagia eine Stimme hinter sich, doch als sie sich umdrehte, blickte sie nur in verschlossene, ausdruckslose Gesichter, während Urso versonnen »Irene« vor sich hin murmelte.
    Begleitet von der Dromone setzte sich das Fährschiff in Bewegung. Mit klatschenden Ruderschlägen näherte es sich der Halbinsel, auf der sich Konstantinopel erstreckte. Linker Hand sah Pelagia eine große Kuppel glänzen, und als einer der Mitreisenden ihre fragenden Blicke bemerkte, deutete er hinauf.
    »Das ist die Hagia Sophia, die Kirche der heiligen Weisheit, die vor gut einem Jahrhundert Kaiser Justinianus erbauen ließ. Davor, diese Säulen und Gärten, das gehört alles zum Kaiserpalast.«
    Langsam zog das Schiff weiter und steuerte auf einen Meeresarm zu, der sich nördlich der Kaiserstadt öffnete.
    »Das Goldene Horn«, erklärte der Einheimische mit sichtbarem Stolz, »siehst du die Türme rechts und links von der Einfahrt?« Pelagia nickte. »Dazwischen ist die Kette gespannt, mit der man die Einfahrt verschließen kann. Jetzt ist sie aber abgesenkt, sonst könnten wir nicht einlaufen!«
    Staunend musterte Pelagia das geschäftige Treiben in dem Hafen der Metropole. Zahlreiche große Segelschiffe lagen am Kai vertäut, kleine Boote brachten Warenballen von einer Seite zur anderen, Lagerhäuser reihten sich am Ufer, in der Ferne erstreckten sich auf Pfählen errichtete Schuppen über der Wasserfläche. Links hinter dem Kai zog sich die Stadtmauer entlang, überragt von unzähligen Häusern, die sich am Steilhang drängten. Ein Stück weiter, nur noch als dunkler Umriss gegen die rosa Wolken des Abendhimmels zu erkennen, thronte eine riesige Kirche auf dem höchsten Punkt der Stadt.
    »Die Apostelkirche mit dem Grab des Kaisers Konstantin«, bemerkte der Mitreisende, bevor er sich verabschiedete, als die Fähre anlegte. »Gott schütze dich in Konstantinopel!«
    »Danke, das kann ich brauchen«, entgegnete Pelagia, während sie nach ihrem Reisesack griff, um dann leise hinzuzufügen. »Das werden wir alle bitter nötig haben …«

Kapitel 12
    Sie kommen!
(673 n. Chr.)
    »Ich weiß wohl, das Krieg ein großes Unheil ist und das schlimmste aller Übel. Aber da unsere Feinde nun einmal das Vergießen unseres Blutes als eine ihrer Grundpflichten und das Höchste an Tugend ansehen, und da sich jedermann für sein Land und sein Volk einsetzen muss, mit Worten, mit der Feder und mit Taten, habe ich mich entschlossen, über Strategie zu schreiben. Indem wir das anwenden, werden wir nicht nur unseren Feinden widerstehen können, sondern sie sogar bezwingen.«
    Anonyme byzantinische Strategieschrift des 6. Jahrhunderts
    Das erste, was Pelagia am Morgen vernahm, war das Gekreische der Möwen. Bald darauf erdröhnte das Nakus eines nahen Klosters, das die Mönche zum Gebet rief, ratterten Handkarren die steile Straße hinab, walkten die Bäcker im Nebenhaus lautstark ihren Teig, priesen fliegende Händler ihre Waren an, ließen Esel ihr misstönendes Geseufz erschallen und kreischten spielende Kinder auf der Straße. Den Lärm fand Pelagia widerlich, doch sobald sie das Fenster ihrer Dachkammer öffnete, im Hof den Maulbeerbaum erblickte, den salzigen Meeresgeruch schnupperte und im Süden die weite Wasserfläche glitzern sah, durchströmte sie wenige Herzschläge lang ein tiefes Glücksempfinden. Dann fühlte sie sich an Karthago erinnert – an unbeschwerte Jugendjahre, eine Zeit, als das Leben noch spielerisch schien, alle Türen offen standen; als Träumen die Zukunft gehörte, statt dem tagtäglichen Kampf mit einer rauen Wirklichkeit. Denn dass die Kaiserstadt kein leichtes Pflaster war, hatte sie nur zu schnell begreifen müssen.
    Die ersten Tage war sie in der Riesenstadt bergauf, bergab gewandert, hatte das Hippodrom bestaunt, das vierzigtausend Zuschauern Platz bot; außerdem das mosaikgeschmückte Innere der Hagia-Sophia-Kathedrale sowie das Theodosiusforum mit dem bronzenen Reiterstandbild dieses Kaisers. Mit zurückgelegtem Kopf hatte sie im halbrunden Nordteil der Anlage

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