Sie kamen bis Konstantinopel
Konstantin von seinen Soldaten zum Kaiser ausgerufen worden war.
Padraich spürte, wie sehr er sich in den letzten Wochen verändert hatte, wie sein Vertrauen in Gott gewachsen war. Eines Tages, das ahnte er, würde er auch nach Rom kommen, der Stadt des Papstes. Und irgendwann vielleicht sogar in die Kaiserstadt Konstantinopel.
Kapitel 3
Das Rote Martyrium
(651-653 n. Chr.)
»Er kam zur Stadt Radaspona , die, aus behauenen Steinen erbaut, Hauptstadt und Festung dieses Stammes geworden war. Die Stadt, von der wir sprachen, Reganesburg , war uneinnehmbar, aus Quadersteinen erbaut, wurde hoch überragt von mächtigen Türmen und war überreich an Brunnen. Ihren nördlichen Teil bespülte die Donau auf ihrem Weg nach Osten.«
Arbeo , Lebensbeschreibung des heiligen Haimhram ( Emmeram ), 8. Jh.
Langsam schob sich der flache Prahm den Fluss hinauf. Der Kapitän, ein kleiner, vierschrötiger Mann, dessen lockige Mähne vom Wind zerzaust wurde, stand am Bug, den rechten Fuß auf die Bordwand gestellt. Seine zusammengekniffenen Augen wanderten über die Wasserfläche, auf der ihm das Spiegelbild der Sonne, in zahllose Lichtflecke zerfallen, wie tanzende Edelsteine entgegenfunkelte. Die Rechte über die Augen gelegt, musterte er das Bauwerk, das sich einige Hundert Schritt entfernt über den großen Strom spannte. Ein gutes Dutzend verwitterter Steinpfeiler ragte aus dem Wasser, von Holzbalken überspannt, die Alter, Fäulnis und gelegentliche Brände dunkel verfärbt hatten. Nur einige hellere Flickstellen zeugten davon, dass es auch in diesen Zeiten der Armut und Gesetzlosigkeit noch Menschen gab, denen daran gelegen war, die uralte Rheinbrücke vor dem Einsturz zu bewahren.
Seit zwei Jahrzehnten schon befuhr der Kapitän den großen Strom. Vom Nordmeer bis zur Stadt Basilia ließ er sein Schiff flussaufwärts treideln, um es danach, mit neuen Waren gefüllt, wieder von der Strömung zurücktragen zu lassen. Viel hatte er auf seinen Reisen erlebt und gesehen. Doch nichts war darunter gewesen, das den frommen Mann so mit Staunen erfüllte wie dieses Wunderwerk, das einst, der Überlieferung zufolge, Kaiser Konstantin mit Gottes Hilfe errichtet hatte. Jetzt konnte er bereits die Köpfe der Menschen erkennen, die sich über die Brücke schoben, überragt von den Umrissen zweier Reiter sowie einem mit Stoffballen beladenen Wagen. Es wurde Zeit, den Hafen anzusteuern.
Vom Ufer hallten die rhythmischen Rufe herüber, mit denen die Treiber die Zugochsen anfeuerten. Der Kapitän gab dem Steuermann ein Zeichen, das Steuerruder umzulegen. Das Wasser gurgelte, als der Kahn, den Treideltauen folgend, nach rechts schwenkte. Gemächlich näherten sie sich dem Ufer, hinter dem die Mauern und Türme der Stadt aufragten. Hier würden sie einen Teil der Ladung löschen und den Mitreisenden an Land setzen. An der Rheinmündung, dem Beginn dieser Fahrt, hatte der Kapitän den seltsamen Mann beobachtet, wie er am Ufer umherirrte, mit wilden Gesten und einem schauderhaftem Sprachgemisch fragte, wie man nach Colonia kommen könne. Als er erfuhr, dass es sich um einen irischen Wandermönch handelte, hatte er ihn für Gotteslohn an Bord genommen.
Der Kapitän ging zu dem Fremden, der mittschiffs auf einigen britannischen Wollsäcken ausgestreckt lag, und betrachtete schmunzelnd die kräftige, in einen dunklen Umhang gehüllte Gestalt. Während der vordere Teil des Schädels kahl geschoren war, wallte vom Hinterkopf eine lange, rotblonde Mähne. Der Mund in dem markanten Gesicht stand halb offen, die Augen mit ihren dunkel gefärbten Lidern waren geschlossen. Ein kräftiges Schnarchen übertönte das Rauschen des Flusses.
Jäh brach es ab, als der Kapitän sich herunterbeugte und den Mönch an der Schulter rüttelte. »Aufwachen, Peregrinus, wir sind in …«
Padraich hatte lange versucht, wach zu bleiben, doch die warme Herbstsonne, das sanfte Rauschen und die wiegenden Bewegungen des Schiffes waren zu viel für seinen entkräfteten Körper gewesen. Von Eoforwic aus war er nach Süden aufgebrochen und ungezählte Tage über die grasüberwucherten römischen Straßen Britanniens gewandert. Nur kurz hatte er die Gastfreundschaft der christlichen Gemeinde im Dorf Lundenvic genossen, um an einem Sonntagsgottesdienst in der Paulskirche teilzunehmen, die sich inmitten der verlassenen Ruinen der nahen römischen Stadt erhob. Jeden Tag, ob sonnig oder regengepeitscht, war er morgens aufgebrochen, um sich nicht eher Rast zu gönnen, bis nach
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