Sie kamen bis Konstantinopel
zehn Stunden sein selbst gesetztes Pensum von etwa dreißig römischen Meilen erfüllt war. In Cantwarabyrig hatte ihm der dortige Bischof einige Münzen aufgedrängt, mit denen er die Überfahrt über das Meer bezahlen konnte. Und an der Nordküste Francias gelandet, hatte ihm Gott in seiner Gnade diesen Flussschiffer gesandt, der …
… jetzt schmunzelnd vor ihm stand und mit dramatischer Geste ans Ufer wies: »… Colonia!«
Padraich rieb sich die Augen, rappelte sich auf und spendete dem Kapitän den Segen Gottes.
»Gerne geschehen«, antwortete dieser. »In zwei Tagen fahre ich weiter stromaufwärts, wenn du mitkommen willst …«
Der Mönch schüttelte den Kopf. »Vielen Dank, aber für die vielen Kirchen und Heiligen der Stadt werde ich wohl mindestens zwei Wochen brauchen.«
Ungelenk balancierte er über eine Planke an Land, sein Bündel geschultert. Zu seiner Linken ragte ein ausgedehnter, rechteckiger Bau empor, auf dessen dachlosen Mauern sich Büsche festkrallten.
»Alte Speicherhallen«, rief ihm ein Hafenarbeiter auf seine Frage hin zu, ob dies ein heidnischer Tempel gewesen sei.
Ein Stück weiter musste sich Padraich nordwärts wenden, da ihm die Stadtmauer den Weg versperrte. Er folgte ihr, während Möwen kreischend am Himmel segelten, bis er zu einem quadratischen Turm kam, hinter dem die Mauer nach Westen abbog. In ihrem Schatten ging er weiter und verweilte einen Augenblick vor einem dreibogigen Stadttor. Der riesige Mitteldurchgang, in den unzählige Schwalben ihre Nester geklebt hatten, gab den Blick auf eine Straße frei, die heruntergekommene Häuser säumten. Die beiden seitlichen Türme, durch deren Bogenfenster der blaue Himmel schimmerte, wurden jeweils von einem Storchennest gekrönt. Im Erdgeschoss des rechten Turmes hatte sich eine kleine Bäckerei eingerichtet, bei der Padraich einen noch warmen Brotfladen erstand. Als er sich aber den Weg zu der Kirche ›Zu den Goldenen Heiligen‹ beschreiben ließ und daran denken musste, warum er hier war, verkrampfte sich sein Magen.
Der schmale Trampelpfad entfernte sich jetzt von der Mauer und wand sich durch überwucherte Tempelchen, vom Frost zersprengte Grabpfeiler und umgesunkene Steinplatten, von denen ihm die Köpfe längst zu Staub zerfallener Heiden nachzublicken schienen. Ein zerlumpter Hirtenjunge, dessen Schafherde zwischen den Trümmern graste, glotzte dem Mönch nach und pfiff auf zwei Fingern, als Padraich ihn nicht weiter beachtete.
Endlich erhob sich vor ihm der ovale, weiß verputzte Kuppelbau. Außen umgaben ihn halbrunde Apsiden, die sich wie Küken um eine Glucke scharten. Padraich zögerte, atmete tief durch, dann Umschrift er die Kirche und betrat das weite, von Säulen umstandene Atrium, das sich vor dem Westeingang erstreckte.
Ein scharrendes Geräusch ließ ihn zusammenfahren. Ein verkrüppelter Bettler schob sich mit krebsartigen Bewegungen heran, seine Holzschale gereckt. Er reichte ihm den Rest des Brotfladens, den sich der Mann in den Mund schob, wobei er kauend fragte: »Willst du den Brunnen sehen, in die man die Leichen der Thebäer geworfen hat?«
Padraich verneinte verhalten. »Später vielleicht. Jetzt suche ich den Diakon Memilian.«
Der Bettler zeigte mürrisch auf die Kirche. »Da drin.«
Der Mönch betrat das Gotteshaus und erstarrte vor Ehrfurcht, als sich seine Augen an das Dämmerlicht gewöhnt hatten. Unzählige Öllampen flackerten wie Sterne, ihr Schein spiegelte sich in den blank polierten Marmorplatten der Wandverkleidung. Ringsum versanken die von Doppelsäulen getrennten Apsiden im Halbdunkel, während die Kuppel im Goldglanz eines Mosaiks erstrahlte, das einen Kreis stehender Soldaten darstellte. Dichte Weihrauchschwaden kitzelten seine Nase, so dass er niesen musste.
»Gott zum Gruß, Fremder«, hörte er eine freundliche Stimme in flüssigem Latein und wandte sich rasch um. Ein kahlköpfiger, schwarz gekleideter Mann mit tiefen Ringen unter den Augen wies nach oben. »Die heiligen Märtyrer der Thebäischen Legion, von denen du sicher schon gehört hast.« Padraich nickte. »Bist du Memilian?«
»Ja, mit was kann ich dir dienen?«
»Ich komme aus Irland und ich …«, er stockte, wusste auf einmal nicht weiter.
»Dass du ein Peregrinus bist, habe ich sofort gesehen.«
Der Diakon musterte ihn, dann weiteten sich seine müden Augen. »Bringst du etwa Nachricht von unserem Sohn?«
Padraich nickte stumm.
»Gott sei gepriesen. Ach, das wird meiner Frau gut tun!« Der Mann
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