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Sie kamen bis Konstantinopel

Sie kamen bis Konstantinopel

Titel: Sie kamen bis Konstantinopel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank S Becker
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schlug dem links neben ihm stehenden Knecht seine Faust ins Gesicht, dass dieser aufheulend zusammensackte – und war frei. Mit wenigen Sprüngen hatte er Lantpert erreicht, der sich verblüfft umsah, und ihn niedergeworfen. Rasend vor Wut stürzte er sich auf den Liegenden und begann ihn zu würgen, als er plötzlich Schritte hörte, einen Stich im rechten Oberschenkel sowie einen Schlag in die linken Rippen spürte, bevor ein Hieb seinen Kopf traf, der sein Bewusstsein in Tausend nächtliche Sterne zerbersten ließ.
    ***
    Dumpfe, pochende Schmerzen waren das erste, das in Patricius' Bewusstsein drang. Allmählich löste er sich aus seinem Albtraum, in dem er auf dem Felsen gestanden hatte, von steigender Flut umspült, während sich der Seedrache mit gebleckten Zähnen näherte. Memilian hatte ihn wegzerren wollen, doch dann war es nicht mehr Memilian gewesen, sondern der alte Jude, der ihn mit sich riss, hinein in einen glitschigen Gang, den sie entlanghasteten. Hinter ihnen war ein Schaben und Kratzen zu hören, und als Patricius sich umwandte, sah er, dass der Drache die Form einer riesigen Ratte angenommen hatte, die sich durch den Gang hinter ihnen zwängte. Eine Ratte, deren spitzes Gesicht die Züge Lantperts trug und deren geöffnete Schnauze eine Reihe blutiger Zähne zeigte, die einer Säge glichen …
    In Panik fuhr er empor, nur um sogleich wieder stöhnend zurückzusinken. Sein ganzer Körper fühlte sich an wie zerschlagen, aber sein Kopf, der rechte Oberschenkel und die linken Rippen schmerzten besonders. Sein Mund war ausgetrocknet, er musste Fieber haben.
    »Wasser«, murmelte er und war dankbar, als jemand seinen Kopf anhob und ihm einen Becher an die Lippen setzte. Vorsichtig schluckte er, öffnete die Augen und blickte in das Gesicht einer Frau mittleren Alters, die ihn besorgt anstarrte. Ihr Gesicht war sonnengebräunt, das schwarze Haar von grauen Strähnen durchzogen.
    »Urso«, rief sie aufgeregt, »Urso!«
    Währenddessen ließ Patricius seine Blicke durch den Raum wandern. Er konnte einen Webstuhl erkennen, neben dem sich einige flache Bottiche stapelten. Von dem spitzen Dach, durch dessen Sparren Stroh quoll, baumelten geräucherte Schinken und Würste. Dem Rauschen nach zu schließen, schien es heftig zu regnen. Von draußen näherten sich Schritte, und schon beugte sich ein junger Mann über sein Lager. Schwarze Locken, aus denen Wasser tropfte, umrahmten ein fein geschnittenes Gesicht mit dunklen Augen, die besorgt auf den Kranken herabblickten. Er fragte etwas in einer seltsamen Sprache, die entfernt an Latein erinnerte, und Patricius antwortete auf Bajuwarisch.
    »Danke, es geht. Wo bin ich?«
    »Im Dorf Valei«, antwortete der Mann und lächelte fröhlich. »Ein Wunder, dass du noch lebst. Du hattest eine Platzwunde am Kopf, einen Stich im Oberschenkel, gebrochene Rippen und den ganzen Körper voller blauer Flecken. Als wir dich fanden, hielten wir dich zunächst für tot.«
    »Und Haimhram?« Mit einem Male kehrte die Erinnerung zurück. »Der Bischof, was ist mit ihm geschehen?«
    Urso zögerte, sein heiteres Jungengesicht wurde schlagartig düster. »Wir alle haben diese furchtbaren Schreie gehört, sie wollten nicht aufhören. Ich war gerade mit einer Wagenladung Fässer und Holzschalen in Helphindorf. Doch niemand besaß den Mut, zu helfen. Erst als die Reiter fort waren … da sind wir hingelaufen. Du lagst besinnungslos am Boden, daneben dieser Mann auf der Leiter. Ringsum war alles glitschig vor Blut. In meinem ganzen Leben habe ich so etwas Entsetzliches noch nicht gesehen …« Urso konnte einen Augenblick nicht weitersprechen, schluckte und wischte sich mit dem Ärmel seines Gewandes die Augen. »Seine Hände und Füße fehlten, man hatte ihm Augen und Zunge herausgerissen, dazu Nase und Ohren abgeschnitten und … und ihn entmannt. Trotzdem war er noch am Leben … aus seinem blutigen Mund kamen schreckliche Laute. Einige Männer aus dem Dorf haben ihn notdürftig verbunden, auf einen Wagen geladen und sind mit seinen Dienern aufgebrochen. Aber unterwegs, so habe ich gehört, da bewegte er seine Armstümpfe so, dass sie ihn absetzten, und kaum hatten sie das getan, da starb er.«
    Einen Moment herrschte Stille, nur vom Rauschen des Regens unterbrochen. »Und weiter?«, fragte Patricius leise.
    »Seine Diener sollen mit seiner Leiche noch ein Stück bis Aschaim gezogen sein, um ihn in der dortigen Kirche zu begraben. Ich habe dich auf meinem Wagen hierher gefahren.

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