Sie kamen bis Konstantinopel
weinende Kind im Arm. »Was stehst du rum und glotzt? Bring lieber den Balg zurück!«
»Ich will mitkommen. Du hast es mir versprochen!«
»Nein!« Patricius schwang sich den Sack über die Schulter, schob sich an Urso vorbei und trat auf den staubigen Hauptweg. »Verschwinde!«
»Ich komme mit. Denk an die Bären, Wölfe und …«
»Steinschläge, Wetterstürze – ich weiß«, gab der Mönch barsch zurück. »Mein Leben liegt in Gottes Hand.«
Urso lief ihm nach, den greinenden Säugling im Arm. »Du hast kaum Vorräte!«
»Dann suche ich mir Beeren oder Pilze!«
»Die gibt es erst im Sommer!«, wandte Urso ein.
»Dann wird mir Gott Manna schicken, wenn er will! Und jetzt lass mich in Ruhe.«
Urso verstummte, blieb stehen und schaukelte das Kind, während er dem Mönch nachblickte, bis dieser hinter einer Wegbiegung verschwand.
***
Am Abend des folgenden Tages saß Patricius erschöpft an seinem Lagerfeuer, nur gelegentlich aus seinen Gedanken gerissen, wenn ein harziger Ast unter Funkenstieben zerbarst. Je höher der Pfad sich in die Berge wand, umso schwieriger wurde das Vorankommen, da überall Schmelzwasser die Hänge herabrieselte und den Weg mit einer glitschigen Schlammschicht überzog. Außerdem gingen seine hastig zusammengerafften Vorräte zur Neige und alle Versuche, in einem Bergbach Forellen zu fangen, waren kläglich gescheitert. Reisenden zu begegnen, konnte Patricius so früh im Jahr nicht hoffen, die Bergalmen lagen noch verlassen, und wenn nicht bald ein Wunder geschah, wusste er nicht, wie er es über den vor ihm aufragenden Hauptkamm des Gebirges schaffen sollte.
Da hörte er ein Rascheln auf dem Pfad hinter sich, ein Stein polterte zu Tal. Räuber? Ein Bär? Patricius fuhr auf, seinen Wanderstab in der Rechten. Mit der Linken zog er einen rotglühenden Ast aus der Glut, den er funkenstiebend schwenkte.
»Wer ist da?«
»Ich bin es, dein Freund!« Bei diesen Worten trat ein dunkel gelockter Mann in den Flammenschein, einen prallen Sack über den Schultern. »Du gingst zu schnell, und ich musste Vorräte für uns beide schleppen.«
»Du? Aber hatte ich dir nicht …«
»Ja schon.« Urso ließ den Sack zu Boden plumpsen, öffnete ihn, holte einen Brotlaib heraus, hielt ihn dem Mönch hin und bemerkte: »Das Planen eines Emsigen bringt Überfluss; wer aber allzu rasch handelt, dem wird's mangeln.« Auf Patricius' verblüfften Gesichtsausdruck hin setzte er heiter hinzu. »Die Weisheit Salomos. Darf ich nun mit nach Rom kommen?«
»Also gut, du darfst«, knurrte der Mönch. »Aber nur, wenn du mir gelobst, weder eigenmächtig zu taufen noch Ehen zu schließen!«
»Versprochen!«, lachte Urso und zog noch einen Käselaib aus dem Sack. »Aber vergiss nicht – jetzt habe ich dir schon zum zweiten Mal das Leben gerettet!«
***
Am Nachmittag des vierzehnten Juni erreichten sie Rom. Auf dem Weg zu der Stadt, die – zusammen mit einem bis nach Ravenna reichenden Landstreifen – zum Territorium des Kaisers in Konstantinopel gehörte, hatten sie das von den Langobarden beherrschte Norditalien durchqueren müssen. Zum Schutz vor den Räuberbanden, welche die verlassenen Landstriche unsicher machten, hatten sie sich unterwegs einer fränkischen Pilgergruppe angeschlossen. Gemeinsam beteten sie zuerst am Grab des Apostels Petrus in der langgestreckten Basilika, die Kaiser Konstantin einst erbaut hatte, bevor sie sich Quartier in einem nahen Hospiz suchten.
Am nächsten Morgen durchwanderten sie die Stadt auf dem Weg zum Sitz des Papstes im Lateranpalast. Doch Patricius hatte kaum Augen für die ungeheuren Ruinen, die sich beidseitig der Straße erhoben, noch nahm er die seltsame Unruhe war, die in der Bevölkerung herrschte – so sehr war er von der Vorfreude erfüllt, endlich dem Stellvertreter Christi auf Erden gegenübertreten zu können. Am Lateran angekommen, mussten er und Urso sich durch ein Gewimmel von Pilgern, Mönchen und Almosenempfängern hindurchfragen, bis Patricius einem abweisend blickenden Priester Haimhrams Briefe übergeben konnte. Kurze Zeit später erschien der Mann erneut, doch diesmal wie verwandelt, und erklärte, der irische Peregrinus würde sofort vorgelassen; seinem Begleiter sollte für die nächsten Tage eine Zelle im nahen Kloster St. Pancratius zugewiesen werden.
Mit angehaltenem Atem folgte Patricius dem Priester eine Marmortreppe hinauf, durch düstere, verwinkelte Gänge, vorbei an unzähligen altersdunklen Türen, bis sie am Ende vor dem
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