Sie kamen bis Konstantinopel
Das war vor einer Woche, seitdem schüttet es wie aus Kübeln.«
Patricius lies sich zurücksinken und schloss die Augen. Sogleich kehrten die schrecklichen Bilder zurück, erneut versank er in seinen wirren Albträumen, bis er eine Woche später schwach, aber fieberfrei erwachte. Noch immer goss es, und im Dorf lief das Gerücht um, das sei die Strafe des erzürnten Christengottes für den begangenen Frevel. Langsam, auf einen Stock gestützt, schlurfte Patricius im Haus umher, saß am Feuer und führte lange Gespräche mit Urso, wenn dieser von seinen Schreinerarbeiten zurückkehrte. So erfuhr er, dass sein Retter ein Walche war, wie die Romanisch sprechenden Abkömmlinge der Römer von Franken und Bajuwaren genannt wurden. Einige Tagesreisen in Richtung Sonnenaufgang, so erzählte Urso stolz, gäbe es noch zahlreiche Romanenorte wie Valei, in denen so viele Walchen lebten, dass man kaum je ein Wort der Barbarensprache hören müsse. Er war der Neffe eines örtlichen Bauern und hauste mit einer alten Magd zusammen, doch hatte er nie Lust zur Landwirtschaft verspürt und drechselte am liebsten feine Becher, Teller oder kunstvoll verzierte Schalen.
Als der Regen endlich aufhörte, waren die nahen Berge mit Schnee bepudert, so dass an eine Weiterreise vor dem Frühjahr nicht zu denken war. Patricius vertiefte sich wieder in seine Schriften, und da er sah, wie aufmerksam Urso ihn beobachtete, fragte er ihn eines Tages, ob er Lesen und Latein lernen wollte. Ein begeistertes Kopfnicken war die Antwort, und so saßen sie viele Abende beim Kerzenschein zusammen, gebeugt über den Kommentar zu den Paulusbriefen. Urso war gelehrig, doch wenig sorgfältig, und wenn er meinte, etwas verstanden zu haben, so sprang er gleich zum nächsten Wort oder Satz. Dafür interessierte er sich immer mehr für die Lehre, die aus den Briefen des Apostels sprach, und wollte gerne Christ werden. Im Dezember, als im Dorf die Schweine geschlachtet und ihr Fleisch über den stets brennenden Feuern geräuchert wurde, gab Patricius dem Drängen des Jungen nach. Am 25. taufte er ihn in einer Scheune unter neugieriger Anteilnahme der Dorfbewohner, denen er zuvor abwechselnd auf Romanisch und Bajuwarisch eine Predigt über Jesu Geburt gehalten hatte. Von dem Tag an lief Urso voller Stolz umher, jede Redewendung seines Meisters nachahmend.
Patricius, der oft nicht wusste, ob er darüber lachen oder ungehalten sein sollte, beschloss, weiterhin den Glauben zu verbreiten, Neubekehrte aber erst dann in die Gemeinde aufzunehmen, wenn er gewiss sein konnte, dass sie die christlichen Lehren auch beherzigen würden. In der Herde des Herrn gab es schon mehr als genug Wölfe im Schafspelz – von kleinen Heuchlern bis hin zu Mördern wie Lantpert.
***
Als die ersten Schneeglöckchen blühten, konnte Urso auch schwierige Texte, lesen wie schreiben, nur sein Latein hörte sich für den Mönch oft seltsam an, da er die Worte verschliff und die Grammatik vereinfachte, wie es in seiner romanischen Muttersprache üblich war. Nach den Briefen des Apostels Paulus hatte er sich die Sprüche Salomos vorgenommen, deren volkstümliche Weisheit ihn begeisterte.
Patricius dagegen hatte seine alte Stärke zurückgewonnen, half bei Arbeiten wie dem Holzhacken oder Brettersägen. Gelegentlich brach er zu Wanderungen in die Dörfer der Umgebung auf, wo er predigte und meist einige Nächte verbrachte. Einmal, als er von einer solchen Reise zurückkehrte, sah er ein junges Paar Hand in Hand durch das Dorf spazieren und sich verliebt anlächeln. Da er wusste, dass sie heiraten wollten, sprach er nach dem Abendessen mit Urso darüber, der jedoch herumdruckste, bis er zuletzt ein Geständnis ablegte.
»Sie sind schon verheiratet.«
»Wie, etwa nach Sitte der Heiden? Die beiden kamen doch oft, um meine Predigten zu hören!«
»Nein, nein, nicht nach Heidensitte …«
»Ja, wie denn dann?«, fragte Patricius verwundert. »Wer hat sie getraut?«
Urso schluckte und rieb mit Daumen und Zeigefinger das Bärenzahnamulett, das er trotz Taufe nach wie vor um den Hals trug.
»Ich war es!«, erklärte er schließlich, nachdem er sich ein Herz gefasst hatte.
»Du? Aber du kannst doch gar nicht, du darfst doch …«
»Keine Angst, ich habe mir genau gemerkt, wie das gemacht wird.«
»So?« Patricius kniff die Augen zusammen. »Und wie?«
Urso beschrieb den Ablauf der Handlung und schloss mit den Worten: »Und so erklärte ich sie zu Mann und Frau!«
»Was?«, schrie Patricius
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