Sie kamen bis Konstantinopel
ausrichten …«
Daud verbeugte sich ergeben. Als er die Türe zum Vorraum geöffnet hatte und sich nochmals umdrehte, sah er den Kalifen die Hand nach dem Koran ausstrecken. Ein letztes Mal blickte er in die gütigen Augen und hörte Uthmans drängende Stimme.
»Geh. Sie werden es nicht wagen …«
***
Gleißendes Sonnenlicht blendete Daud Ibn Hassan, als er ins Freie trat. Die Hitze schlug ihm hart ins Gesicht, als würde er sich über den Tander beugen, den traditionellen Lehmofen, in dem seine Mutter ihre Brotfladen zu backen pflegte. Unwillkürlich schluckte der Junge, doch nur Sandkörner knirschten zwischen seinen Zähnen. Vor zwei Tagen hatten die letzten Tropfen seine ausgedörrte Kehle benetzt – als nach langem Warten Ali Ibn Talib, der Schwiegersohn des Propheten, vor dem Haus Mohammeds erschienen war, in dem seit dessen Tode die Kalifen residierten. Daud, der zu den Wachposten auf das Dach geschlichen war, hatte nur die beschwichtigenden Gesten des kahlköpfigen, dicklichen Mannes beobachten können, ohne aber etwas davon zu verstehen, was er zu der erregten Menge sagte. Doch immerhin hatten die drohenden Schreie zunächst aufgehört und die geballten Fäuste sich geöffnet, um den Belagerten einen Schlauch lauwarmen Wassers über die Mauer zu reichen. Wenig genug für all die Hausbewohner, die seit Tagen in der gnadenlosen Sommerhitze ausharren mussten. Die Belagerung selbst war jedoch weitergegangen, und jetzt schien etwas den Zorn der Masse erneut aufzustacheln.
Daud sah sich beklommen um. Ein schwacher Wind wirbelte Staub über die leere, mit Kieseln gepflasterte Fläche des Hofes, während rechts wie links Säulen die Umfassungsmauern säumten. Sie trugen breite, mit dürren Palmblättern gedeckte Dächer, in deren Schatten die Umrisse sitzender und liegender Menschen zu erkennen waren, die sich kraftlos Luft zufächelten. An der Steinmauer dem Haus gegenüber waren einige Männer damit beschäftigt, hastig das Tor, das immer wieder unter den Schlägen erzitterte, mit weiteren Balken und Brettern zu verrammeln. Als einer von ihnen Daud erblickte, winkte er ihm zu und der Junge lief schnell hinüber. Nachdem er stotternd berichtet hatte, was ihm der Kalif aufgetragen hatte, schüttelte der Mann besorgt seinen mit schwarzem Kraushaar bedeckten Kopf.
»Wenn die das hören, stürmen sie das Haus. Wir müssen Zeit gewinnen!«
Als er die schreckgeweiteten Augen des Jungen sah, verzog er seine wulstigen Lippen, ein Erbteil seiner afrikanischen Vorfahren, zu einem beschwichtigenden Lächeln und legte ihm eine große Hand auf die Schulter. »Hab keine Angst. Jeden Tag können die Truppen Mu'âwijas hier sein. Dann werden diese Hunde wünschen, nie eine Hand gegen den Beherrscher der Gläubigen erhoben zu haben.«
Daud nickte. Er kannte die Hetzreden der aufsässigen Glaubenskämpfer, die sich aus Ägypten und dem Irak nach Medina aufgemacht hatten. Jeden Tag schrien sie, der Kalif sei kein wahrer Muslim, er führe kein frommes Leben, ja er ließe sogar einen christlichen Dichter bei sich sitzen. Die Vorwürfe gipfelten in der Behauptung, einträgliche Ämter gingen nicht an die Fähigsten und Frömmsten, sondern an Mitglieder seiner Familie. Der Junge fand nichts daran auszusetzen, dass Uthman ebenso wie Mu'âwija, der Statthalter Syriens, und etliche andere neu ernannte Führer zum Clan der Banu Omaya gehörte. Denn auch er selbst stammte aus einer armen Seitenlinie dieser angesehenen Mekkaner Familie, die einst Mohammed als Wirrkopf abgetan hatte.
Aber das war lange her. Und warum sollte heute ein Herrscher nicht das Recht haben, seinen Verwandten mehr zu vertrauen als irgendwelchen Fremden? Nur so war es möglich, dass er, Daud Ibn Hassan, nun seit zwei Jahren als Diener im Haus des Kalifen lebte, unendlich dankbar für die wenigen Dirham, die er als Lohn erhielt, und noch viel dankbarer dafür, dass Uthman ihm, einem stotternden, schüchternen Ziegenhirten, die Möglichkeit gegeben hatte, Lesen und Schreiben zu lernen. So hatte Dauds Mund zum ersten Male die wunderbaren Worte Allahs formen können, die den Koran bildeten, der Mohammed vom Engel Gabriel überbracht worden war.
In diesem Augenblick schwoll das Geschrei außerhalb der Mauer erneut an und riss den Jungen aus seinen Gedanken. Der dunkelhäutige Mann lief näher zum Tor, lauschte, dann winkte er Daud aufgeregt zu sich heran.
»Hör zu – eine Staubwolke ist vor der Stadt gesichtet worden. Das könnten die syrischen Truppen
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