Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sie kamen bis Konstantinopel

Sie kamen bis Konstantinopel

Titel: Sie kamen bis Konstantinopel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank S Becker
Vom Netzwerk:
summenden Schmeißfliegen zu verscheuchen.
    Doch Daud war trotz seiner Verletzung flink und zudem zu allem entschlossen. Bevor es sich der Riese versah, hatte der Junge eine Finte nach links gemacht, war rechts unter dem massigen Körper hindurchgetaucht und taumelte in den Raum.
    Nichts würde je wieder diesen Anblick aus seinem Gedächtnis tilgen können. In unzähligen Nächten würde er die Szene durchleben, wieder und wieder, ein Albtraum, aus dem er jedes Mal schweißgebadet erwachen sollte.
    Das Schrecklichste waren die kleinen Stummel, die auf dem Boden lagen und seinen verständnislosen Blick auf sich zogen. Daud brauchte einen Herzschlag, um zu begreifen, dass es Finger waren. Abgehackte, blutige Finger. Dann sah er den Kalifen. Uthman saß vornübergesackt, den Kopf seitlich auf den Tisch gesunken, die Arme leblos herabhängend. Auf seinem Rücken, in der Mitte des weißen Stoffes, prangte etwas, das einer riesigen Mohnblume glich. Doch nicht nur dort, überall war dieses Rot. Auf dem Stuhl, auf dem Tisch, auf dem aufgeschlagenen Koran. Blut tropfte zäh auf den Boden, Blut sammelte sich in einer rot schimmernden Lache, Blut bahnte sich träge seinen Weg über den staubigen Lehm, Blut umgab auch den anderen, reglosen Körper. Daud erkannte Na'ila, Uthmans Frau, eine gütige Matrone, die dem mageren Jungen immer gerne einige Bratenreste zugesteckt hatte. Ihre sonst zurückgebundenen, mit einem Kopftuch bedeckten Haare hatten sich gelöst, hingen ihr als graues Geflecht übers Gesicht, bedeckten halb den zu einem stummen Schrei aufgerissenen Mund. Verkrümmt lag die alte Frau neben dem Stuhl auf dem Boden, die Brust von blutigen Streifen überzogen, als habe sie vergeblich versucht, mit dem eigenen Körper den geliebten Mann zu schützen.
    Zuletzt sah Daud ihre Hand, deren Fläche verschlungene, rote Hennamuster zierten. Eine faltige Hand, die ihm nie wieder übers Haar streichen würde. Eine blutige Hand, deren verkrümmte Finger ein Säbelhieb abgetrennt und im Raum verstreut hatte.
    In diesem Augenblick packte den Jungen eine wilde Wut, so rasend, wie er sie noch nie in seinem an Entbehrungen und Ungerechtigkeiten nicht kargen Leben empfunden hatte. Denn er spürte, dass hier mehr als zwei Menschen ermordet worden waren. Die tödlichen Hiebe hatten auch die neue Gemeinschaft des Islams getroffen, in der doch, wie es der Prophet gewünscht hatte, Muslime nie wieder einander Gewalt antun sollten …
    Sein linkes Augenlid zuckte, wie so oft, wenn er wütend war, und nur mühsam konnte Daud die Fremden wahrnehmen, die sich mit ihm im Raum befanden und über ihr weiteres Vorgehen berieten. Alle waren bewaffnet, Turbane türmten sich über ihren dunklen Gesichtern. In dem gedämpften Licht, das durch das kleine Fenster drang, erkannte er das scharfe Profil von Amr bin al-Asamm, dem Anführer der ägyptischen Meuterer.
    Den Leichen am nächsten stützte sich ein kräftiger, schwarzhaariger Mann auf einen Säbel mit blutbeschmierter Klinge. Sein breiter, schnurrbärtiger Kopf befand sich im Licht. Er mochte an die vierzig Jahre alt sein, und seine stechenden Augen spähten aus einem von roten Pickeln übersäten, aufgedunsenen Gesicht, das einmal hager gewesen sein mochte, bevor der Mann sich dem Wohlleben ergeben hatte. Er trug einen breiten Ledergürtel, in dem ein Krummdolch steckte, dessen Griff mit Edelsteinen besetzt war. Diesen Fremden sehen und sich auf ihn stürzen, war für Daud eins. Drei Schritte nur, dann hatte er den überraschten Mann erreicht, ihm dem Dolch aus der Scheide gerissen und wollte schon zustechen, als ihm ein Fausthieb ins Genick den Atem raubte. Er torkelte, schlug mit dem Kopf auf die Tischkante und verlor das Bewusstsein.
    ***
    Das Erste, was Daud sah, als er langsam wieder zu sich kam, war der unter ihm vorbeischwankende, mit Sand und zertretenem Eselsmist bedeckte Boden. Mehr konnte er nicht erkennen, denn er hing über den Schultern eines Mannes, Hände und Füße gefesselt, einen Knebel im Mund, Nacken und Kopf schmerzten höllisch. Nach einer Weile der Benommenheit bemerkte er die langen Schatten; er musste mehrere Stunden bewusstlos gewesen sein. Eintönig knirschten die Schritte im Sand, entfernt waren Stimmen zu hören. Jäh hielt sein Träger an, beugte sich vor, ließ seinen Gefangenen auf den Boden gleiten, spuckte aus und verschwand, ohne sich noch einmal umzudrehen.
    So begann Dauds Zeit als Gefangener im Lager der Ägypter.
    Die ersten Stunden lag er nur da, gefesselt

Weitere Kostenlose Bücher