Sie kamen bis Konstantinopel
und hilflos, dankbar für einige Schlucke Wasser und ein paar Datteln, die ihm ein Unbekannter zusteckte, nachdem er seinen Knebel entfernt, ihn in ein Zelt gebracht und dort angekettet hatte. Erst nach und nach konnte er sich aus aufgeschnappten Satzfetzen zusammenreimen, was geschehen war; den Rest flüsterte ihm schließlich ein alter Mann zu, der im Lager Dienst tat. Der Fremde, den Daud angegriffen hatte, hieß Ammâr Ben Yasir und war schon drauf und dran gewesen, ihm die Klinge in den Bauch zu rammen, als ihm Amr in den Arm gefallen war. Es sei schon genügend Blut vergossen worden, habe der Anführer der ägyptischen Glaubenskämpfer geschrien. Würden sich alle Muslime so tapfer auf den Gegner stürzen, wie dieser abgerissene Junge, so gäbe es bald keine Feinde des Glaubens mehr, hatte er mit einem hämischen Seitenblick auf Ammâr hinzugefügt und befohlen, Daud nicht zu töten, sondern ihn in das Zeltlager vor der Stadt zu bringen.
Anfangs war der Junge erleichtert, doch seine Hoffnung, bald freigelassen zu werden, erfüllte sich nicht. Tag um Tag verstrich mit quälendem Warten, endlosen Stunden, die er angekettet in dem brütend heißen Zelt verbrachte; der einzige Trost in seiner verzweifelten Lage war, dass durch die erzwungene Untätigkeit sein verstauchter Fuß genügend Zeit zum Heilen fand. Ein wenig Abwechslung gab es, wenn abends die Männer aus Medina zurückkehrten und das Palaver am Lagerfeuer begann. Gelegentlich gesellten sich auch Glaubenskämpfer aus dem Zweistromland dazu, die von den großen Schlachten gegen die Perser erzählten, deren Schah Yezdegerd einst die Botschafter des Islams ausgelacht hatte, als sie in einfachen Kleidern vor ihm erschienen waren, um zu fragen, ob er mitsamt seinem Reich den neuen Glauben annehmen wolle. Das Lachen war Yezdegerd alsbald im Hals stecken geblieben, als die Muslime sein Riesenheer bei Qadisjia zersprengten. In einem dreitägigen Kampf metzelten sie die mit Ketten zusammengeschlossenen Soldaten nieder, schlugen den schrecklichen Elefanten die Rüssel ab und stürzten sich in der ›Nacht der Schreie‹ auf den Feldherrn Rustam, bis dieser von so vielen Wunden bedeckt zusammenbrach, dass keiner der Sieger mehr sagen konnte, wer ihn nun getötet hatte. Für den Schah waren Jahre der Flucht gefolgt, die den einst stolzen Herrscher bis in den östlichsten Winkel seines verlorenen Reiches geführt hatten. Mit den letzten Getreuen, so wurde berichtet, habe er dort vor fünf Jahren in einer Mühle Schutz gesucht, nachdem die nahe Stadt Merw sich geweigert hatte, ihm die Tore zu öffnen. Doch als der Müller in dem abgerissenen Flüchtling den Schah erkannte, unter dessen Lumpen er noch goldenes Geschmeide wähnte, habe er aus Gier seinen einstigen Herrn mit einem Mühlstein erschlagen.
Daud lauschte gebannt den Erzählungen, doch beschlichen ihn manchmal Zweifel, ob es recht sei, sich über diese Siege des wahren Glaubens zu freuen, als deren Folge seine Mutter Schirin alle Angehörigen verloren hatte und eine Beute der Sieger geworden war.
Endlich, nach einer Woche, machte sich Unruhe im Lager breit. Männer riefen Befehle, und Kamele stießen ihre misstönenden Schreie aus, als Amr den Vorhang am Eingang des Zeltes beiseiteschob. Er beugte sich über Daud.
»Die Gläubigen haben wieder einen Amir al Mu'minîn bestimmt«, sagte er, »wir kehren morgen nach Ägypten zurück.«
»Wer ist es?«, fragte Daud mit rauer Stimme, »und wa… wann kann ich gehen?«
Der hagere Krieger in dem dunklen Burnus musterte den Jungen nachdenklich.
»Ali Ibn Talib, der Schwiegersohn des Propheten, Allahs Segen und Heil auf ihm, wurde zum Kalifen gewählt.« Der Mann richtete sich auf und hakte die Daumen in seinen Gürtel. »Du kommst mit uns. Wir haben für Ali gestimmt, aber andere waren gegen ihn. Jetzt muss wieder Frieden in der Gemeinschaft der Gläubigen einkehren. Da ist es besser, wenn in Medina kein Augenzeuge herumläuft, der beim … nun ja, beim Tode des letzten Kalifen dabei war.«
Daud bäumte sich auf. »Aber ich h… habe den Mord nicht ge… gesehen! Ich …«
Er dachte an seine Mutter, die, wie er erfahren hatte, vergeblich versucht hatte, ihn im Lager zu besuchen, und an seinen alten Vater Hassan, der eine Weihrauchkarawane nach Südarabien begleitete. Daud war das erste und einzige Kind, allen folgenden hatte Allah das Leben schon nach wenigen Tagen wieder genommen. Wenn er nicht mehr da war, wer sollte dann für seine Eltern
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