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Sie kamen bis Konstantinopel

Sie kamen bis Konstantinopel

Titel: Sie kamen bis Konstantinopel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank S Becker
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Wolkenfetzen den bislang blauen Himmel überzogen. Jetzt wurden sie von der letzten Abendsonne blutrot gefärbt, während der Wind immer weiter auffrischte und Staubwolken über die Ebene fegte. Alle zogen ihre Kopftücher fest über die Gesichter und beugten die Köpfe, so dass Daud erst wieder aufblickte, als sie Halt machten.
    Vor Staunen blieb ihm der Mund offen stehen.
    Die Felswand, die sich vor ihm erhob, ragte wie ein gigantischer Pilz in den Himmel. Oben war die Oberfläche des roten Sandsteines zerfressen, an manchen Stellen voll tiefer Löcher, an anderen bedeckt mit herabhängenden Steinplatten, als habe sich der Panzer eines Ungeheuers im Höllenfeuer gelöst, als das darunterliegende Fett in der Hitze schmolz. Doch diese unheimlichen Formen, die Wind, Sand, Hitze und Kälte aus dem Stein genagt haben mochten, waren nicht das Seltsamste, sondern vielmehr der untere Teil: Hier hatten menschliche Hände den Stein geglättet, um in das wild wuchernde Gestein Fassaden von strenger Regelmäßigkeit zu meißeln, auf denen noch Reste farbigen Verputzes zu erkennen waren. In der Mitte gähnte jeweils ein Eingang, ein übermannshohes, schwarzes Rechteck, überragt von einem dreieckigen Giebel, zu beiden Seiten von vorspringenden Halbsäulen flankiert. Darüber, in etwa dreißig Fuß Höhe, schloss ein aus dem Stein gemeißeltes Gesims den unteren Teil ab, überragt von zwei gegenläufigen, nach außen ansteigenden halbplastischen Treppen.
    Noch bevor Daud die Zeit fand, alle Einzelheiten dieser seltsamen Bauwerke in sich aufzunehmen, ließ ihn ein Stoß im Sattel schwanken.
    »Beweg dich, du Sohn der Trägheit!«
    Ammâr war zu ihm herangeritten und starrte ihn wütend an, während er mit wedelnden Handbewegungen die Fliegen zu verscheuchen suchte, die sein breites Gesicht umschwirrten.
    Daud rieb seine schmerzenden Rippen und ließ eilig sein Kamel niederknien. Inzwischen wusste er, dass sein Herr ungewöhnlich empfindlich auf Mückenstiche reagierte, die seine Haut sogleich zu roten Pusteln anschwellen ließen. Letzte Nacht war er böse zerstochen worden und dementsprechend übler Laune.
    Überall waren die Reisenden jetzt damit beschäftigt, ihre Kamele zu entladen und sich einen Lagerplatz zu suchen. Ein Dutzend Schritte entfernt konnte Daud einige schäbige, von Palmen überragte Lehmhütten erkennen, zwischen denen der Brunnen lag, um dessen Benutzung der Karawanenführer mit einem kleinen, dicklichen Mann feilschte. Daud kaufte für seinen Herrn etwas Brennholz und ein Rippenstück von der Ziege, die die Bewohner des kleinen Dorfes geschlachtet hatten. Dann aß er selbst einen Brotfladen mit einigen Datteln und kauerte sich hinter Ammâr, der mit einer Gruppe von Reisenden um ein großes Feuer saß. Er spürte einen beginnenden Schnupfen, seine Nase lief und er musste sie immer wieder mit dem Ärmel seines Gewandes abwischen. Gerne hätte er sich näher an die Flamme gesetzt, die im Windschatten der Felsen emporzüngelte, ihre Funken in den Nachthimmel schleuderte und die wenige Schritte entfernt aufragende Fassade mit zuckendem Licht erfüllte, während die Umgebung in Nachtschwärze versank.
    Die Männer waren an diesem Abend weniger ausgelassen als sonst, und als eine gebeugte, auf einen Stock gestützte Gestalt aus der Dunkelheit heranschlurfte, verstummten sie völlig. Der Mann mochte etwa siebzig sein, doch spähten über einem langen, weißen Bart zwei wache Augen aus dem faltigen Gesicht. Langsam trat er, eine Holzschale in der Linken, in den Schein des Feuers.
    »Allah beschütze euch«, sagte er mit leiser, doch klarer Stimme. »Ich bin ein alter Mann. Einst habe ich viel von der Welt gesehen. Doch nun bin ich schwach und einsam. Es ist Allahs Wille, dass ich jetzt davon leben muss, freigiebige Fremde mit meinen Geschichten zu unterhalten. Wollt ihr …«
    »Ja, Alterchen«, unterbrach ihn aufmunternd ein junger, wohlhabender Kaufmann, der sich unterwegs der Karawane angeschlossen hatte, um im Schutz der Bewaffneten reisen zu können. »Hier, das ist für dich!« Ein Dirham flog durch die Luft, den der Alte unerwartet behände mit seiner Schale auffing.
    »Allah möge es dir mit vielen Söhnen danken«, antwortete er beflissen und blickte sich, auf seinen Stock gestützt, aufmerksam in der Runde um. Seine von einer rotbraunen Gallabia verhüllte Gestalt wirkte, als sei sie aus einem der Felsen getreten.
    »Ihr wisst, edle Reisende, an welchem Ort ihr lagert?«, fragte er schließlich und setzte

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