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Sie kamen bis Konstantinopel

Sie kamen bis Konstantinopel

Titel: Sie kamen bis Konstantinopel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank S Becker
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»Aber er k… kann doch nicht ss… so lange beten?«
    Der Alte sah ihn missbilligend an. »Wer bist du, dass du dir ein Urteil darüber anmaßt, wie lange ein frommer Mann seine Gebete verrichten darf?«
    Doch als er sah, dass Dauds Unterlippe zitterte, legte er ihm begütigend die Hand auf die Schulter. »Geh schon einmal voraus, mein Sohn. Ali wird kommen, das kannst du den Leuten sagen. Sie sollen sich nur etwas gedulden.«
    Schwer seufzend erhob sich der Junge.
    »Danke«, murmelte er und hinkte rasch los, ohne sich noch einmal umzusehen.
    Diesmal erschien ihm der Weg noch länger, die Sonne noch stechender, die vorbeihastenden Menschen noch fremder. Nach wenigen Dutzend Schritten lief ihm erneut der Schweiß über die Stirne und sein Knöchel schmerzte, als würde bei jedem Auftreten ein Nagel hineingetrieben. Daud humpelte so schnell es eben ging an den Ständen der Gewürzhändler vorbei, achtete nicht auf den Duft von Zimt, Kardamon und Nelken, der ihm in die Nase stieg. In der Gasse der Stoffhändler strauchelte er und musste sich auf einen der gelben Ballen stützen, die ein Händler auf seinem Tisch feilbot. Fluchend scheuchte ihn der Mann weg und beeilte sich, mit einem Lappen den Staub von dem Baumwolltuch zu wischen. Ein Stück weiter, bei den Schustern, zeigten die gebeugt nähenden und klopfenden Handwerker unter lauten Rufen auf Dauds abgetretene Sandalen und sogleich auf ihre Ware, verstummten jedoch, sobald ihre Blicke das gequälte Gesicht des Jungen streiften.
    Endlich kam das Haus des Propheten in Sicht. Dieser einfache Bau, in dem seit zwei Dutzend Jahren seine Nachfolger als Leiter der Gemeinde wohnten und zugleich ein Reich regierten, dessen Grenzen die Glaubenskämpfer in immer fernere Länder vorschoben. Ein Haus, unter dessen Dach der Prophet begraben lag und in dem Omar, der zweite Kalif und Vorgänger Uthmans, vor zwölf Jahren beim Gebet niedergestochen worden war. Von einem christlichen persischen Sklaven, wie Dauds Mutter, selbst aus Persien gebürtig, ihm eines Abends flüsternd erzählt hatte.
    Daud war am Ende seiner Kräfte, sein Atem ging stoßweise, alles schien sich zu drehen, und er musste sich gegen eine Wand lehnen. Die Hitze stand in der Gasse wie in einem Ofen. Nirgendwo gab es Schatten, über den Häusern flimmerte die Luft. Das feurige Auge der Mittagssonne stand am ausgebleichten Himmel.
    Plötzlich fiel ihm die ungewöhnliche Ruhe auf. Er hörte nichts, obgleich es Zeit für das Gebet war, zu dem sonst der Muezzin rief. Vom Dach des Hauses, in dem der Kalif lebte. Immer, selbst an den Tagen der Belagerung. Dann hatten alle einen kleinen Teppich ausgebreitet oder nur den Boden vor sich gesäubert. Einträchtig waren alle Muslime niedergekniet, Belagerer wie Belagerte, um die vorgeschriebenen Gebetsübungen in Richtung Mekka zu vollziehen.
    Jeden Tag – nur nicht heute.
    ***
    Heute war außer leisen Stimmen nichts zu hören. Das drohende Geschrei und das dröhnende Pochen hatten einer unheimlichen Stille Platz gemacht. Daud tastete sich schwer atmend die Hauswand entlang und bog um die Ecke. Männer standen in kleinen Gruppen auf der Straße und tuschelten. Das Tor stand weit offen, die Flügel unbeschädigt. Jemand musste die Verriegelung von innen gelöst haben. Daud machte einen zögernden Schritt. Niemand hielt ihn auf, niemand beachtete ihn. Unbeholfen hinkte er auf das Tor zu, betrat den Hof, sah sich um, erschrak. Auf dem Kieselboden glänzten rote Flecken. Frische Blutspuren, die zu einem Männerkörper unter dem linken Palmblätterdach führten, über den sich leise klagend zwei Frauen beugten. Auch im Hof Männer, reglose Fremde, in kleinen Gruppen. So schnell er konnte, humpelte er zu dem Hauptgebäude, stieß die Türe auf und starrte einen Moment hilflos ins Innere, bis sich seine Augen an das Halbdunkel gewöhnt hatten. Die Türe zum Raum des Kalifen stand offen, doch ein bewaffneter Hüne lehnte am Türrahmen, den Kopf vom Eingang abgewandt.
    Daud spürte, wie sich sein Magen zusammenkrampfte. Er durchquerte wankend den Raum, biss sich auf die Unterlippe, die Schmerzen trieben ihm Tränen in die Augen. Als er die Türe erreicht hatte, wandte der Hüne den Kopf, streifte ihn abschätzend mit seinem Blick. Wäre Daud ein Mann gewesen, hätte er seine Waffe gezogen. Aber für einen mageren Jungen mit verstrubbelten Haaren, dem Tränen in den Augen standen, genügte eine abweisende Handbewegung, gerade so, als gälte es, eine der immer zahlreicher

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