Sie kamen nach Bagdad
Zimmer zu verlassen, rief er sie zurück.
»Sagen Sie mir, Victoria, sind Sie hier wirklich zufrieden?«
»O ja, Dr. Rathbone.«
Die dunklen Augen unter den buschigen Brauen blickten sie durchdringend an. Ihr wurde ein wenig unbehaglich zumute.
»Leider können wir Ihnen nicht sehr viel bezahlen.«
»Das macht nichts«, sagte Victoria, »die Arbeit macht mir Freude.«
»Wirklich?«
»O ja«, sagte Victoria. »Man hat das Gefühl«, fügte sie hinzu, »an etwas Wertvollem mitzuarbeiten.« Ihr unschuldiger Blick hielt seinen dunklen, forschenden Augen tapfer stand.
»Und können Sie davon leben?«
»O ja, ich habe eine ganz gute, billige Unterkunft gefunden – bei irgendwelchen Armeniern. Ich bin ganz zufrieden.«
»In Bagdad ist augenblicklich ein Mangel an Stenotypistinnen«, sagte Dr. Rathbone, »ich glaube, ich könnte Ihnen eine bessere Stellung verschaffen als diese hier bei uns.«
»Aber ich will keine andere Stellung.«
»Aber Sie täten vielleicht gut daran, eine andere anzunehmen.«
»Ich täte gut daran?«, stammelte Victoria.
»Ja, das habe ich gesagt. Nur ein Wort der Warnung – ein Ratschlag.« Es lag jetzt etwas leicht Drohendes in seinem Tonfall.
Victoria machte noch größere Augen. »Ich verstehe Sie wirklich nicht, Dr. Rathbone«, sagte sie.
»Es ist zuweilen klüger, sich nicht in Dinge einzumischen, die man nicht versteht.«
Sie sagte mit gespieltem Eifer: »Aber ich interessiere mich wirklich sehr für den ›Ölzweig‹, Dr. Rathbone.«
Darauf zuckte er die Achseln und sie verließ ihn, aber sie spürte seine Augen in ihrem Rücken, als sie aus dem Zimmer ging.
Sie war durch diese Unterredung etwas beunruhigt. War etwas vorgefallen, das seinen Verdacht erregen konnte? Ahnte er, dass sie eine Spionin war, die man hier eingeschleust hatte, um seine Geheimnisse auszukundschaften? Sein Wesen und seine Stimme hatten ihr Angst gemacht. Sie schlief an diesem Abend mit einem seltsam beklemmenden Gefühl in der Brust ein.
17
E s fiel Victoria am nächsten Morgen nicht schwer, allein und ohne viel Erklärungen auszugehen. Sie hatte sich nach dem Beit Melek Ali erkundigt und erfahren, dass es ein großes, in den Fluss hinausgebautes Haus war, ein Stück Weg das Westufer hinunter. Bis jetzt hatte Victoria sehr wenig Zeit gehabt, die Umgebung zu erforschen. Als sie an das Ende der schmalen Straße gelangte, war sie angenehm überrascht, sich direkt am Fluss zu befinden. Sie wandte sich nach rechts und ging langsam das hohe Flussufer entlang. Eine Weile war der Weg breit und gepflastert. Dann kam sie in dichte Palmenhaine.
Sie musste jetzt ziemlich genau gegenüber dem Hotel Tio sein. Eine Straße führte durch die Palmen hinunter und dann zu zwei hohen Häusern mit Balkons. Unweit davon stand ein großes Haus, direkt in den Fluss hinausgebaut, mit einem Garten und einer Balustrade. Der Weg am Ufer führte durch das Beit Melek Ali, das heißt »das Haus des Königs Ali«. Eine Straße führte vom Fluss landeinwärts und dort stand ein Auto – ein etwas schäbiges, altes Auto. Daneben wartete Edward.
»Schön, dass du gekommen bist«, sagte er. »Steig ein.«
»Wohin fahren wir?«, fragte Victoria.
»Nach Babylon«, sagte Edward. »Es wird höchste Zeit, dass wir mal einen Tag zusammen verbringen.«
Der Wagen fuhr mit einem fürchterlichen Ruck an und holperte wie toll über die rohen Pflastersteine.
»Nach Babylon«, rief Victoria, »wie wunderbar das klingt. Wirklich nach Babylon?«
»Ja, aber erwarte nicht zu viel. Babylon – wenn du verstehst, was ich meine – ist nicht mehr ganz das, was es mal war.«
Sie holperten und ratterten munter darauflos und erreichten nach ein paar Stunden zerschlagen und durchgerüttelt Babylon. Der öde Haufen von verfallenem Lehm und Ziegelsteinen war für Victoria eine gewisse Enttäuschung, sie hatte Säulen und Triumphbögen erwartet. Aber ihre Enttäuschung verschwand nach und nach, als sie mit dem Führer über Hügel und Backsteinmassen kletterten. Ein plötzliches Gefühl für die Größe der Vergangenheit überkam sie, zusammen mit dem Wunsch, etwas über diese gewaltige, stolze Stadt zu erfahren, die jetzt tot und verlassen dalag.
Nachdem sie der Antike ihren Tribut gezollt hatten, ließen sie sich zu Füßen des Babylonischen Löwen nieder, um den Lunch zu verzehren, den Edward mitgebracht hatte. Der Führer entfernte sich nachsichtig lächelnd, aber er ermahnte sie energisch, später noch unbedingt das Museum zu
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