'Sie können aber gut Deutsch'
Ausländer. Und jetzt: Sitz!
Die Vorzeigeausländer, die wir im Fernsehen sehen, sind alles andere als immergültige Beispiele für die Realität, weil das türkische Mädchen, das einen IQ von 160 hat und fünf Sprachen spricht, obwohl ihre Mutter Analphabetin ist, genauso wenig für Abertausende türkischer Mädchen steht, wie dasjenige, das von den eigenen Brüdern ermordet wird, weil es eine voreheliche sexuelle Beziehung eingegangen ist. Sie sind
beide Ausnahmen, positive oder negative, wie es sie in jeder ethnischen Gruppe, in jeder Gesellschaft, in jedem Milieu, in jedem Land gibt. Die Vorzeigeausländer, die wir im Fernsehen zu sehen bekommen, sind häufig zudem nicht gut integriert, wie es in der Bauchbinde heißt, sondern vielmehr assimiliert. Auch das ist keine repräsentative Eigenschaft. Die meisten Menschen mit Migrationshintergrund, die ich kenne, neu kennengelernt habe im Zuge der Arbeit an diesem Buch (womit ich sagen möchte, dass ich mich nicht nur auf meinen Freundeskreis beziehe, den man sich selbstverständlich aussucht, sondern auch auf Menschen, denen ich normalerweise in meinem selbst ausgesuchten, selbst bestimmten Leben nicht begegnen würde), sind durchschnittlich »normal«. Was in diesem konkreten Fall bedeutet, dass sie entweder so gut Deutsch sprechen, dass ich niemals an ihrer Sprache erkannt hätte, dass sie in den Statistiken unter die »Migrationshintergründler« fallen würden oder zumindest in ihrem eigenen Alltag in Deutschland mehr als gut zurechtkommen. Nein, sie bewältigen ihn nicht, was nach einer schwierigen, anstrengenden, gar kaum lösbaren Aufgabe klingt, sondern sie kommen zurecht, wunderbar, für sie ausreichend. Sie haben alle ihren eigenen Weg gefunden, mit dem Reichtum der sie prägenden Kulturen (zwei und manchmal sogar drei oder mehr) umzugehen, sie wissen, was diese für sie bedeuten, sie wissen um die eigene persönliche Entwicklung, die sie durch diese Erfahrungen gemacht haben. Sie müssen sich weder assimilieren, noch müssen sie vorgezeigt werden, weil sie einfach – und erfolgreich – ihr Leben in unser aller Deutschland leben. Weshalb sie sich – und ich mir – Fragen, die man üblicherweise Vorzeigeausländern stellt, niemals stellen würden. Fragen wie: »Wie haben Sie denn so gut Deutsch gelernt?«, eine Frage, die impliziert, dass man ein Ding der Unmöglichkeit bewältigt hat,
dass man ein Held ist. Ich bin aber kein Held. Ich habe einfach Deutsch gelernt, als ich nach Deutschland kam, und spreche und schreibe diese Sprache nun schon seit so vielen Jahren, dass ich mir die Frage nach dem Lernprozess nicht stelle, weil dieses Können für mich so selbstverständlich ist. Für die, die mir diese Fragen stellen, offensichtlich nicht. Ebenso wenig möchte ich die Frage beantworten, ob ich mich nun als Russin oder als Deutsche fühle. Wobei ich zumindest bei Lesungen das Gefühl nicht loswerde, dass das Publikum sich darüber freuen würde, wenn ich »Deutsche« antworten würde, als endgültigen Beweis dafür, dass man als »Mensch mit Migrationshintergrund« nicht nur die deutsche Sprache akzent- und fehlerfrei erlernen kann, sondern tatsächlich auch emotional ein Deutscher werden kann.
Wir wissen schon, wie wir unsere Ausländer haben wollen, und wenn es nicht alle schaffen, dann sollen zumindest die Vorzeigeausländer so sein, wie wir sie haben wollen.
Die üblichen Fragen an einen Vorzeigeausländer (und dessen Antworten) sind:
»Wie haben Sie sich so gut integriert?« – Ich weiß nicht, ich bin nun Mitglied im Kegelklub und im Gesangsverein und esse jeden Tag pünktlich um 12 Uhr zu Mittag.«
»Haben Sie den Eindruck, zwischen zwei Stühlen zu sitzen?« – Nee, normalerweise nur auf einem. Manchmal sitze ich auch gerne auf der Couch.
»Was ist Ihre Heimat?« – Russland. Weil Heimat immer mit Kindheitsgerüchen verbunden bleiben wird, etwa dem der Metro, wenn man die lange Rolltreppe in den Sankt Petersburger U-Bahn-Stationen hinunterfährt, dem der Birken in den Wäldern, in denen ich essbare Pilze von den giftigen zu unterscheiden lernte, dem Pilzgeruch an meinen Händen, dem Duft nach Apfelkuchen, wenn Oma gebacken hatte … Schockiert,
weil ich »Russland« antworte? Dann fragen Sie mich nach meinem Zuhause.
»Fahren Sie also trotzdem gerne in Ihre Heimat?« – Trotz was?
»Haben Sie Ideen, Vorschläge, wie man andere Migranten, die sich da, sagen wir mal, schwerer tun als Sie, sich zu integrieren, dazu bringen
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