'Sie können aber gut Deutsch'
könnte, ebendies zu tun?« – Nein, die Tatsache, dass ich gut Deutsch spreche, bedeutet nicht, dass ich ein Patentrezept entwickelt habe, mit dem man alle – auch die aus Ängsten heraus imaginierten – Probleme lösen kann.
Wenn ich jemanden sehe, der etwas gut kann, der ein Buch geschrieben, einen Film gemacht, Lieder komponiert, Menschenleben gerettet, eine Studie veröffentlicht oder sonst irgendetwas Bemerkenswertes hervorgebracht hat, dann interessiert er mich vor allem aus diesem Grund, eben, weil er etwas gut kann. Und nicht, weil er etwas gut kann, obwohl er einen Migrationshintergrund hat. (Wenn überhaupt, dann hat dieser Jemand aus meiner Sicht eher noch einen Vorteil durch diesen, er kann also etwas, weil er den Reichtum mehrerer Kulturen geschenkt bekommen hat, Reichtum wie bereichernd.) Mich interessiert sein Können, dieser Mensch an sich, nicht in erster Linie seine Herkunft. Ein türkischstämmiger Freund von mir, der Journalist ist und viel über die Türkei sowie die türkische Gemeinde in Deutschland berichtet, weil er immer für diese Themen »abgestellt« wird, hatte sich eines Herbstes in der Kulturredaktion seiner Zeitung gemeldet, weil er gerne etwas für die Literaturbeilage, die zur Buchmesse erscheinen sollte, schreiben wollte. Die Kulturredaktion freute sich, weil sie eine Rezension zu dem Buch eines türkischen Autors brauchen konnte. Was er mir eines Abends traurig erzählte und mit den Worten schloss: »Aber ich lese doch
gerne Bücher und schreibe gerne darüber. Also Bücher im Allgemeinen, nicht nur die türkischer Autoren.«
Menschen sind Individuen, mit ihren Fähigkeiten, ihren Interessen, ihren Talenten. Sie sind es, unabhängig von der Frage, aus welcher Region dieser Welt sie oder ihre Familien stammen. Unser Interesse an ihnen sollte ein Interesse an diesen Individuen sein und nicht von der alleinigen Frage geleitet werden, ob sie sich denn nun wirklich als Deutsche fühlen oder das nur nach außen hin so wirkt, weil sie sich so fein integriert hätten.
Ich bin das, was gemeinhin als »gut integriert« bezeichnet wird, und weil ich das bin, sage ich: Ich möchte gerne in einem Land leben, in dem man sich für mich als Mensch interessiert, nicht nur für meine so genannte erfolgreiche Integration. Ich möchte kein gutes Beispiel sein, ich möchte ein ein Puzzleteilchen, Teil dieses Landes sein. Ich möchte nicht darüber nachdenken müssen, zu wie viel Prozent ich mich deutsch, zu wie viel russisch fühle. Ich wünsche den Menschen in diesem Land, dass sie sich diese Gedanken über mich und andere wie mich ebenfalls nicht machen müssen. Ich wünsche mir und Deutschland, dass es keine Vorzeigeausländer mehr zu brauchen meint.
»Ich spreche Deutsch, aber nicht sehr gut«
Probleme (mit) der deutschen Sprache
Manche Sätze bleiben hängen. Die Sätze selbst, nicht die Erinnerung an den Inhalt, nicht die Bedeutung einzelner Worte für uns und unseren weiteren Lebensverlauf, nicht der Gesprächspartner und die Tonlage, sondern Sätze an sich. Wort für Wort. Es kann einem bei einmaligen Erfahrungen im Leben passieren, wie einem Heiratsantrag – oder bei besonders witzigen Begebenheiten wie dem Ausspruch eines Kindes, das Begriffe verwechselt. Es kann alles sein.
Es kann auch sein: »Ich kann nicht schreiben, ich bin doch nur Ausländerin.«
»Ich kann nicht schreiben, ich bin doch nur Ausländerin.« Ich habe den Satz immer noch in den Ohren. Ein kleines Mädchen von etwa elf Jahren sagte ihn zu mir. Es wäre schön, sie an dieser Stelle beschreiben zu können, wie sie in dem langen, zu dunklen Schulflur stand, zu mir hinaufblickte (obwohl ich ja so groß nicht bin), wie sie dabei schüchtern lächelte oder vielleicht resigniert mit den Schultern zuckte. Die Wahrheit ist, ich kann es nicht. Ich erinnere mich nicht mehr an sie. Ich kann nicht sagen, ob sie blond oder dunkelhaarig war. Ich kann nicht sagen, ob sie wie ein Kind wirkte, gerade noch, oder ob sie schon in der Vorpubertät war, sich vielleicht bereits die Wimpern tuschte. Ich weiß auch nicht mehr, wie sie hieß. Dafür hallt ihre Stimme immer noch in meinem Kopf wider: »Ich kann nicht schreiben, ich bin doch nur Ausländerin.« Sie spricht fast akzentfrei Deutsch, vielleicht rollt sie das »R« ein bisschen zu sehr, sie könnte als Fränkin durchgehen, nur dass sie in Schwaben lebt. Sie spricht den Satz knochentrocken
dahin, nicht abgeklärt, nicht zynisch, ohne jegliche Ironie. Sie spricht ihn so,
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