Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
'Sie können aber gut Deutsch'

'Sie können aber gut Deutsch'

Titel: 'Sie können aber gut Deutsch' Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Gorelik
Vom Netzwerk:
ist voller solcher Menschen, wir sitzen neben ihnen im Bus, wir stehen hinter ihnen in der Supermarktschlange, wir lassen uns von ihnen beim Einkaufen (nicht nur von Gemüse, sondern auch von Büchern) beraten, wir begegnen ihnen jeden Tag und nehmen sie noch nicht einmal richtig wahr, und das ist gut so. Es ist gut so, weil es bedeutet, dass sie unser Alltag, unsere Realität sind, weil ihre Anwesenheit »normal« ist, auch wenn dieser Begriff fraglich ist, »normal« in einem positiven Sinn, in dem nämlich, dass ihre Anwesenheit nicht in Frage gestellt wird.
    Und weil das so ist, ist mir nicht klar, wozu wir dann all die anderen brauchen, die wir in Fernsehstudios oder auf Podien setzen, mit denen wir angeben, die wir vorstellen und vorführen, wie in einem Zoo oder einem Zirkus eben, im Migrantenzirkus. Schauen Sie mal, er oder sie hat das Unmögliche geschafft! Es ist aber nicht unmöglich, dass es alles andere als unmöglich ist, zeigt uns die Realität in diesem Land. Und deshalb schämt man sich immer ein wenig, wenn man als Vorzeigeausländer auftreten darf, weil einem dann all die Freunde und Bekannten und Unbekannten in den Sinn kommen, die einem alleine an diesem Tag begegnet sind und genauso gut
auf diesem Platz sitzen könnten, man schämt sich, weil der Platz so unverdient ist. Und genau deshalb sagte Deniz Baspinar zu mir, die Psychotherapeutin ist und eine Kolumne namens »Kölümne« für Zeit Online schreibt, als ich sie fragte, was sie sich wünscht: »Ich will kein gutes Beispiel sein müssen, weil ich eine von vielen bin, weil das, was ich bin, nicht die Ausnahme ist, sondern die Normalität. Nicht Normalität sind die Ehrenmorde, auch wenn das genau andersherum dargestellt wird.«
    Oder um es mit den Worten von einem zu sagen, der mittlerweile unter anderem die deutsche Leitkultur an sich, nämlich den obligatorischen Tatort am Sonntagabend verkörpert, in dem er den Kommissar in Hamburg spielt: »Das höchste Maß an Integration ist Normalität.« Das sagte der Schauspieler Mehmet Kurtulus kurz vor der Ausstrahlung seines ersten Tatorts , er fügte hinzu, dass er es gerne sehen würde, dass die Menschen den Filmdialogen lauschen, weil sie die Handlung spannend finden, nicht, weil sie hören wollten, ob man ihm irgendeine Art von Akzent anmerkt. Und die NDR-Fernsehfilm-Chefin Doris Heinze ergänzte: »Einen Vorzeigetürken brauchen wir nicht.« Aber ist Normalität nicht, wenn man auf diese Tatsache nicht mehr hinweisen muss, wenn der Nachsatz einfach überflüssig klingen würde?
    (Ach ja, und da wir gerade beim Thema Tatort sind, muss ich eines noch loswerden: Ich persönlich glaube ja, dass die Integration beim Tatort endet. Noch nie habe ich einen Migranten getroffen, der diese Fensehserie gerne sähe. Oder der verstanden hätte, warum man sich immer am selben Tag der Woche, immer um dieselbe Zeit einen – meistens – nicht so spannenden Krimi anschauen muss. Wenn das die deutsche Leitkultur ist, dann werden wir wohl nie richtige Deutsche, auch wenn wir uns Mühe geben und immer wieder am Sonntagabend
den Fernseher einschalten. Während der Sarrazin-Debatte rief ich an einem Sonntagabend eine Freundin mit Migrationshintergrund an, die mich kurz vor 20 Uhr 15 unterbrach: »Entschuldige, aber ich muss mich jetzt mal endlich integrieren. Ich muss Tatort schauen.« Aber das nur so nebenbei.)
    Es gibt auch Migranten, die sich gut in der Rolle des Vorzeigeausländers gefallen. Es sind meist diejenigen, die den Moment im »Braver-Ausländer«-Rampenlicht nutzen, um gegen andere zu wettern, die sich nicht so viel Mühe geben wie sie selbst. Die die Gunst der Stunde vielleicht sogar nutzen, um sich »auf die sichere Seite zu bringen« und die Reden der konservativen Zuwanderungskritiker dieses Landes aufzugreifen, um auch ihre eigenen Ängste zu äußern, Deutschland könne sich selbst abschaffen (bzw. ließe sich gerade von Anders-Denkenden, Anders-Sprechenden, vor allem von Anders-Glaubenden abschaffen). Mit solchen Äußerungen integrieren sie sich noch weiter in Deutschland, in ein Deutschland, das von Ängsten beherrscht wird anstatt von der Realität. Aber wie man sich im »Braver-Ausländer«-Rampenlicht verhält, ist selbstverständlich jedem selbst überlassen, von mir aus kann sich jeder, der möchte, für diese Art der politischen Argumentation vereinnahmen lassen. Ich persönlich allerdings fühle mich als Vorzeigemigrantin eher wie ein Hund, patsch, patsch, gut gemacht, feiner

Weitere Kostenlose Bücher