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'Sie können aber gut Deutsch'

'Sie können aber gut Deutsch'

Titel: 'Sie können aber gut Deutsch' Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Gorelik
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auch Andrej nicht. Er hat zuhause seinen Computer und ein Stadtviertel weiter seine Enkel, einen kleinen Garten hat er auch, dort werkelt er bei gutem Wetter herum. Sein Zuhause ist »jetzt hier«, und wenn er sagt, dass er die Sprache nicht spricht, dann stimmt das nicht ganz, er versteht viel, und statt des russischen »Ой, чёрт!«, sagt er nun, wenn ihm etwas herunterfällt, »Scheiße«.
    Jeder spricht die Sprache auf seine Weise, und die Erwartung, dass beispielsweise Kinder, die aus welchen Gründen auch immer, mit einer anderen Muttersprache aufgewachsen sind, das Deutsche beherrschen oder in seiner Perfektion in einer Geschwindigkeit lernen müssten, die allenfalls Genies zueigen ist, ist nicht nur unrealistisch und anmaßend, sondern auch entmutigend. Warum begegnet man Schülern, deren Deutsch nicht akzent- und nicht fehlerfrei klingt, mit einer Vorsicht, hinter der sich meistens auch eine gewisse Geringschätzung verbirgt? Wo ist das Vertrauen in die Lernfähigkeit und die -freude kleiner Menschen geblieben, das Vertrauen, dass sie in Geschichte und in Biologie, für die sie ebendieses Deutsch brauchen, schon noch aufholen werden? In der ihnen eigenen Geschwindigkeit eben? Nichts zerstört diese Lernbegierde mehr als Kommentare wie diese: »Ach, das werden sie nicht schaffen, die können ja noch nicht mal richtig
Deutsch.« Ein Kommentar, den ich in meinen Schreibwerkstätten nicht nur einmal hörte. Und daran erinnere ich mich noch selbst: Egal, wie wenig man noch (!) von der Sprache versteht, das zwischen den Zeilen Gesagte, das Abwertende versteht man immer. Erst recht als Kind. Ich erinnere mich sehr wohl daran, wie in der ersten deutschen Klasse, die ich jemals und insgesamt zwei Monate lang bis zu den Sommerferien besuchte und danach wiederholen sollte, Geld für irgendetwas gesammelt wurde. Ich sah das bereits eingesammelte Geld, ich kapierte, dass alle Zwei-Mark-Münzen gaben, das »irgendetwas« verstand ich nicht. Verstand auch nicht den Monolog, den man mir zu diesem Thema hielt, sehr wohl aber das abwertende »Ach, lass sie doch, versteht sie eh nicht«, das jemand, der die Szene beobachtete, von sich gab und mich damit ausschloss. Mir, die ich in Gedanken bereits zuhause meine Schatulle, ein Sparschwein-Ersatz, mit meinem ersten deutschen Taschengeld plünderte, das Gefühl vermittelte, ach du, wer braucht dich schon. Wenn ihr aber nicht wollt, dann will ich auch nicht. Ich war elf Jahre alt.
    Wenn ihr uns aber, statt etwas Geduld aufzubringen, auf die Hauptschule abschieben wollt, und abschieben ist hier wahrscheinlich der richtige Begriff, das weiß jeder, der in den vergangenen Jahren eine betreten hat (Ausnahmen ausgenommen), dann wollen wir auch nicht. Wie sollen Schüler Interesse und Lernwillen zeigen, wenn die Lehrerin beispielsweise an die Tür ihres Klassenzimmers eine Karikatur hängt, deren Botschaft lautet: Ich kann nicht mehr mit euch Kindern, ich brauche Ferien, jetzt sofort. Wie, wenn zum Beispiel ein Lehrer im Unterricht sagt: »Noch drei Stunden, die ich mit euch ausharren muss!« und das offensichtlich auch genau so meint. Momentaufnahmen, die ich aus Besuchen in Hauptschulen mitgenommen habe.

    Warum werden Kinder, die untereinander eine andere Sprache als Deutsch oder auch nur ein etwas anderes Deutsch sprechen, erst einmal argwöhnisch beäugt? Mit Zurückhaltung, mit Vorsicht, abschätzig gar? Als könnten sie von Haus aus weniger, als wären sie ein bisschen weniger wert? Eine gute Freundin, deren Kinder die internationale Schule besuchen, sagte, während wir über Nachwuchs und Schule im Allgemeinen sprachen, nicht über Migration als Problem und auch nicht über die Schwächen des deutschen Bildungssystems, ganz nebenbei: »Ich bin sehr froh, dass sie nicht permanent diesen Migrantendruck haben, zeigen zu müssen: Ich bin Migrant, aber trotzdem gut.« Warum denn »trotzdem«?
    Deutsche Eltern, Deutsch im Sinne von Urdeutsch, investieren mit steigendem Einkommen und Bildungsgrad, was hierzulande ja miteinander einhergeht, immer mehr Geld in die Fremdsprachenkenntnisse ihrer Sprösslinge. Kinderkrippen, in denen Säuglinge schon einmal Chinesisch hören, damit der Sprachklang ihnen nicht fremd bleibt, Kindergärten, in denen Englischunterricht genauso zum täglichen Programm gehört wie das Mittagessen, sprießen aus dem Boden wie Pilze nach Regen. Phorms-Schulen, in denen der Unterricht bilingual, Deutsch und Englisch, stattfindet, können sich trotz hoher

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