'Sie können aber gut Deutsch'
kam, war er zu jung, um sich Gedanken zu machen. Er wollte weg, weg von der griechischen Militärdiktatur, weg von dem eintönigen Leben, das er auf dem Schiff führte, auf dem er arbeitete. Er war 23 Jahre
jung, und als zwei Freunde vorschlugen, zum Arbeiten nach Deutschland zu gehen, weil mit Deutschland ein Anwerbeabkommen existierte, da sagte er Ja und landete hier. Heute sagt Gerasimos über diese Zeit: »Schwierige Zeiten. Sprache nicht gekannt.« So spricht er, abgehackt, nicht immer verständlich, häufig fällt ihm eine Vokabel nicht ein, dann wiederholt er einfach die Zusammenfassung: »Schwierige Zeiten.« Schwierige Zeiten waren das, weil Deutschland nicht nur und wahrscheinlich gar nicht eine Abenteuerreise war, sondern harte Arbeit. Drei-Schichten-Dienst bei Siemens, jeden Tag, im Akkord. Wenn er nicht arbeitete, schlief er. Wenn sie nicht arbeiteten, schliefen sie. Sie, die Gastarbeiter, die wir, wie der Name schon sagt, als Gast einluden, hier zu arbeiten, nicht, um Deutsch zu lernen. Aber wer erinnert sich heute noch daran?
Gerasimos jedenfalls arbeitete im Akkord, drei Schichten, und zwischen den Schichten schlief er, und als er nicht mehr konnte, suchte er sich eine Arbeit in München bei BMW, weil er gehört hatte, dass es dort einfacher sein würde, war es aber nicht. Oder in Gerasimos’ Sprache formuliert: »Wenn du arbeiten musst, ist das Leben so. Schwierige Zeiten.« In den Fabriken verständigte man sich irgendwie, wie, kann er auch nicht erklären, »aber keine Probleme gehabt«. Meist habe es in jeder nationalen Gruppe jemanden gegeben, der gedolmetscht habe, einen Türken, einen Griechen, einen Italiener mit brauchbaren Deutschkenntnissen, notfalls kommunizierte man mit den Händen, auch die Vorarbeiter taten das; man unterschied nicht zwischen den einzelnen Gastarbeitergruppen. Alle arbeiteten, alle schliefen, wenn sie nicht arbeiteten, man kommunizierte mit seinen paar Brocken Deutsch, Händen und Füßen, das reichte aus, wenn Sympathie vorhanden war.
Es ist nun fast zwanzig Jahre her, dass er mit seinen Freunden nach Deutschland kam – ohne Familie, ohne
Sprachkenntnisse, ohne Wissen über Deutschland. Heute hat er eine deutsche Frau, zwei Kinder, er arbeitet immer noch, im Sommer fährt er nach Griechenland, wie fast alle Griechen, die hier leben, wo es warm und schön ist. Zu keinem Zeitpunkt hat er die bewusste Entscheidung getroffen, für immer in Deutschland zu bleiben, es kam einfach so, würde er sagen, in einem Jahr hat er es aus dem Grund nicht geschafft, zurückzugehen, in dem nächsten aus einem anderen. Inzwischen wuchsen die Besitztümer in Deutschland, Möbel, ein Auto, aber auch die Zahl der Freunde wuchs, die Kenntnisse über, die Zuneigung zu diesem Land. Manchmal denkt er noch daran, zurückzugehen, also für immer in die Wärme und die Heimat zurückzugehen, so wie die meisten Gastarbeiter diesen Gedanken manchmal in ihren Köpfen aufblitzen sehen, aber er hat zwei Kinder, er hat eine Frau und seine Arbeit, und er hat das Griechische Haus in München, in dem er viel seiner spärlichen Freizeit verbringt. Da, wo die Griechen Münchens sich treffen, wo sie unter sich sind und die Sprache sprechen, die sie mit der Muttermilch aufgesaugt haben. Einer von ihnen sitzt an der Theke, lässt sich seine Souvlaki schmecken und liest die Münchner Abendzeitung. So ist das nun mal.
Gerasimos sagt: »Wenn du in einem Land bist, brauchst du die Sprache«, und er sagt auch: »Wenn ich ein Wort höre und nicht verstehe, dann ist schlimm«, und zur Selbstberuhigung sagt er dann noch: »Aber bayerischer Dialekt versteht niemand.« Gerasimos spricht Griechisch und ein Deutsch, das sein eigenes ist, nicht wahnsinnig viel, aber auf jeden Fall genug, genug für ihn. Er lebt seit zwanzig Jahren hier, und er tut das gerne.
Andrej lebt »erst« seit elf Jahren in Deutschland und war, als er sich entschloss, aus Russland auszuwandern, bereits
62 Jahre alt. In seinem früheren Leben, »dort«, hatte er als Ingenieur gearbeitet, Sprachen waren noch nie seine Stärke gewesen, schon in der Schule und an der Universität fiel ihm alles Sprachliche schwer. »Natürlich habe ich versucht, Deutsch zu lernen, habe einen Kurs gemacht, zuhause gebüffelt, nur im Kopf ist nichts geblieben«, sagt er in schönstem Russisch. Er sagt es mit einem Lächeln, es macht ihm nichts, seine Frau spricht »ganz gut« Deutsch, das ist ihre Domäne. Sie schreibt die Briefe, er trägt sie zur Post. Komplexe hat
Weitere Kostenlose Bücher