'Sie können aber gut Deutsch'
Schweinegrippe oder der EHEC-Keim uns gefährlich wird. Oder, oder, oder.
Die Menschen, die da sprachen, meinten, man würde doch mal sagen dürfen oder man würde doch mal fragen dürfen, so als seien die Integrationsprobleme noch nie Thema in diesem Land gewesen. Und ich dachte, ich hätte wohl all die politischen Diskurse, Reportagen aus Großstadtghettos mit hohem Ausländeranteil wie Berlin-Neukölln, wohl gemeinten Podiumsdiskussionen nur geträumt.
Die Menschen, die da sprachen, hatten andere Zahlen
über Ausländeranteile in den einzelnen gesellschaftlichen Bereichen im Kopf als ich, aber ich dachte: Sehen sie denn auch tagtäglich ein anderes Deutschland als ich? Sehen sie denn nicht, dass sich die Realität zum großen Teil in einem relativ unspektakulären Alltag abspielt, weit entfernt sowohl von den kriminellen Problemjugendlichen als auch von den Quotenvorzeigeausländern im Fernsehen? Dass die meisten Menschen mit Migrationshintergrund ähnlich wie die meisten Menschen ohne Migrationshintergrund ein stinknormales Leben führen bestehend aus Arbeit, Kinderversorgung und ein wenig Freizeit? Sie sprechen dabei mal (ein nicht unbedingt perfektes) Deutsch, mal ihre Muttersprache, unterscheiden sich in ihrem Durchschnitt aber nicht von den meisten Urdeutschen. Neben den wenigen Schulen, in denen eine nichtdeutsche Mehrheit die wenigen deutschen Schüler ausgrenzt und mobbt, die immer als Beispiel herhalten müssen, gibt es den großen Teil der Schulen, in denen deutsche und nichtdeutsche Kinder mal miteinander, mal nebeneinander lernen und spielen und auch mal streiten, meistens über Nationalitätengrenzen hinweg, weil der Grund für diese Streitigkeit nicht die Herkunft ist, sondern Probleme, die Kinder und Jugendliche nun einmal miteinander haben: Er/Sie hat mir meinen Ball/meine Freundin/meine erste große Liebe/meine CD weggenommen.
Die Menschen, die da sprachen, hießen »ausländische Mitbürger« »grundsätzlich« »schon« »bei uns« »willkommen«, aber nur wenn sie … und dann hörten sie gar nicht mehr zu reden auf, und ich war mir plötzlich nicht mehr sicher, ob auch ich die Kriterien alle erfüllte. Denn selbst wenn ich nicht radikalislamisch bin, so liebe ich doch russisches Essen, möchte gerne, dass meine Kinder Russisch sprechen, und feiere Weihnachten tendenziell nicht.
Es ging mir nicht um Sarrazins Thesen, sondern darum, was diese auslösten. Oder sollte ich sagen: freisetzten. An Ressentiments.
Sarrazins Buch wurde bei Amazon.de 352 Mal mit fünf Sternen, 66 Mal mit vier Sternen und insgesamt nur 73 Mal schlechter bewertet. Die meisten Kritiker schrieben wenig über das Buch, aber umso mehr über eine gefühlte Realität, in der Deutschland sich fast schon abgeschafft habe. Weil Menschen wie ich hier leben?
Ich las in Leserbriefen zu Artikeln führender deutscher Medien: »Die Wahrheit ist doch, daß die Einwanderer sich abschotten, sich furchtsam weigern, wirklich deutsch zu werden und sich generationenlang an ihre Heimatkultur klammern. (…) Mit dem Unterschied, daß dies hier unser Land ist und nicht das der Einwanderer. Sie sind herzlich willkommen mitzumachen. Aber dann bitte richtig!«
Ich las: »Und wer sich wie ein Großteil unserer Einwanderer so viel Mühe gibt, fremd zu bleiben und sich abzukapseln, der sollte sich auch über Zurückhaltung nicht wundern.«
Es hatte auch früher schon solche Stimmen gegeben, aber nicht in dieser Quantität. Es hatte früher mehr Gegenstimmen gegeben.
Die Menschen, die da sprachen, bezogen sich angeblich auf die Integrationsverweigerer, die im Übrigen kaum jemand kritikwürdiger findet als Menschen wie ich, die in der Migrantenwelt aufgewachsen sind und die Integrationsverweigerer deshalb besonders gut kennen. Aber sie sprachen »von einem Großteil der Zuwanderer«, und sie sagten, zur Integration gehöre, dass man die alte Kultur vergesse, hinter sich lasse. Es tat mir leid, nach fast zwanzig Jahren in diesem Land offenbar nicht integriert zu sein, weil ich russischen Kartoffelsalat so
sehr liebe und sich meine Begeisterung für Schweinshaxen weiterhin in Grenzen hält.
Ja, jetzt werde ich polemisch.
Und dann mussten auch noch deutsch-türkische Fußballspieler vor dem Deutschland-Türkei-Spiel den deutschen Journalisten mehrmals verbindlich versichern, dass ihr Herz wirklich für Deutschland schlägt. Dabei hat der Urdeutsche Goethe zwei Seelen, die in ein und derselben Brust wohnen, durchaus nachvollziehen können.
Wird
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