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'Sie können aber gut Deutsch'

'Sie können aber gut Deutsch'

Titel: 'Sie können aber gut Deutsch' Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Gorelik
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sie schienen es anstelle von »tschüss« einzusetzen, das ich schon kannte; das merkte ich mir. Was ich nicht einzuordnen wusste, aber öfter hörte, versuchte ich im Wörterbuch zu finden, was nicht einfach war, weil ich ja meistens nicht wusste, wie man das Gehörte buchstabierte. Mein Grundschullehrer begann seine Sätze gerne mit einem »und zwar«, ich suchte im Wörterbuch danach und fand es nicht – ich buchstabierte es als »uns war« und war verwirrt, weil »uns war« am Anfang eines Satzes keinen Sinn zu ergeben schien. Nach einer Weile sprach ich scheinbar problemlos Deutsch, ich war ja auch noch ein Kind von noch nicht einmal zwölf Jahren, während die Maschinerie in meinem Kopf niemals stoppte: Ich sammelte Redewendungen, sog Aussprachen in mich ein, übte zuhause den Unterschied zwischen langen und kurzen Vokalen. Mein schwierigstes
Wort war »Ofenkartoffel«, weil ein kurzes »O« auf ein langes folgt. Mein Bruder, der schon älter war, nahm an einem Sprachkurs der Otto-Benecke-Stiftung in einer anderen Stadt teil und zog bei uns aus; wenn er uns besuchte, erzählte er, dass sein Mitbewohner und er sich in der Wohnung das Russischsprechen verboten hätten, weshalb sie nun auf den Balkon gingen, wenn ein längeres oder komplizierteres Gespräch zu führen war. Eine Freundin hatte jahrelang an jeden Gegenstand in ihrem spärlichen Zimmer, sogar an manche Besteckteile und die Zahnbürste kleine Zettelchen gehängt, auf denen der deutsche Begriff dafür stand. Sprachenlernen ist ein Prozess, ein Prozess, der einigen leichter und anderen schwerer fällt, ein Prozess, für den man nicht immer Zeit hat.
    Die Einwanderung nach Deutschland begann mit dem Anwerbeabkommen von Arbeitskräften in den sechziger Jahren. Deutschland lud Gastarbeiter ein, aber die Gastarbeiter, die nach Deutschland kamen, lebten nicht in Deutschland, sie lebten in einer Art Niemandsland. Es war ein Land, in dem man arbeitete und schlief, für mehr hatte man nicht die Kraft. Es war ein Land, in dem man keine Fragen stellte, nicht sich selbst und nicht den anderen, schon gar nicht die Frage, ob und wann es sinnvoll wäre, die deutsche Sprache zu erlernen, die Sprache des Landes, in dem sich dieses Niemandsland irgendwie befand. Und hätten sie gefragt, dann wäre die Antwort ein eindeutiges Nein gewesen, wozu denn auch, sie waren zum Arbeiten eingeladen worden, wie der ihnen verliehene Name schon sagte, nicht um die Sprache zu lernen. Weshalb in den Schulen bis in die siebziger Jahre so genannter muttersprachlicher Ergänzungsunterricht für die Kinder der Gastarbeiter angeboten wurde, damit diese in der Heimat keine Schwierigkeiten hätten, wenn ihre Eltern wieder zurückkehren würden dahin, woher sie gekommen waren, dahin, wohin sie gehörten. Sprachkursangebote
gab es keine, wozu denn auch? Arbeiten, Geld verdienen, zurückgehen, ein Abkommen, von dem beide Seiten profitieren. Das Sprachenlernen hat keiner verlangt.
    Und als dann nicht alle zurückgingen, und in den Siebzigern wiederum Forderungen lauter wurden, wer hier lebe, müsse auch die hiesige Sprache beherrschen? Nun, zu diesem Zeitpunkt hatten sich auch die Gastarbeiter hier – auf ihre Weise – eingelebt, sich das an Sprache angeeignet, was sie brauchten, um sich in ihrem Alltag zurechtzufinden, aber auch eine Art eigene Infrastruktur aufgebaut, innerhalb derer sie sich frei in ihrer Muttersprache bewegen konnten. Meist hatte man im Freundeskreis jemanden gefunden, der bei wichtigen Terminen übersetzen half, man brachte einander Deutsch bei, jeder steuerte die Brocken bei, die er sprach, man gab auch die Fehler einander weiter, bis eine Sprache entstand, mit der man sich zurechtfand, sich in seiner inzwischen nun neuen Heimat einigermaßen wohl fühlte. Und sich daran gewöhnte, sowohl an die Sprache als auch an das neue Zuhause. Eine griechische Freundin, die Tochter einer Gastarbeiterin, erzählte mir, dass in den griechischen Kreisen, in denen sie verkehrte, die so genannte Invalidenkarte, eine Fahrkarte für Menschen mit einer Behinderung, »Vanillekarte« hieß. So hatte es einer gehört und verstanden, so hatten es andere aufgegriffen und weitergegeben. Es bedeutete nicht, dass man nicht wusste, was die Invalidenkarte war oder wie man sie beantragte. Sie hieß nur anders, Vanillekarte eben. Wer zwei Jobs hatte, hatte wiederum »eine Extra«, »ich gehe zur Extra« konnte man dann stolz oder müde verkünden, man kam zurecht.
    Als Gerasimos nach Deutschland

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