'Sie können aber gut Deutsch'
es demnächst neben dem Einbürgerungstest eine Herzensüberprüfung geben: Stimmt bei Ihnen auch die Gesinnung?
Und schon wieder werde ich polemisch. Aus Ratlosigkeit wahrscheinlich.
Aber muss ich mein früheres Ich, meine Vergangenheit, Kultur, Sprache, Tradition und alles, was ich bis zur Einwanderung kannte, an der Pforte zu Deutschland abgeben? Tabula rasa machen auf dem Weg zum Deutschtum?
Und nach all dem, nach all der Zustimmung zu Sarrazin und den wochenlangen Diskussionen, hörte ich dann noch eine Zuhörerin in einer Radiosendung sagen: »Wir sind ein sehr tolerantes Volk, wir Deutschen, da erwarte ich von den Muslimen, dass sie auch tolerant sind.« Ich musste lachen, ein Lachen, das Schriftsteller gemeinhin als bitteres Lachen bezeichnen.
Die Menschen, die da sprachen, lebten in einem anderen Deutschland als ich. Ich wäre bereit, sie in mein Wir aufzunehmen, denn zu meinem WIR gehören wir ja alle. Leider schienen sie mich nicht in ihrem Mehrheits-Wir haben zu wollen. Zum ersten Mal fühlte ich mich unwillkommen in Deutschland, und das fühlte sich wiederum sehr unschön an. Unschön und falsch.
Und weil es sich so anfühlte, begann ich darüber zu reden. Ich sprach mit S. darüber. S. ist meine Freundin, meine ehemals jugoslawische und nun bosnisch-kroatische Freundin, die mit einem Hauch fränkischen Dialekt spricht und den Balkan-Ländern aufgrund ihrer Erfahrungen dort wahrscheinlich nicht freundlicher gesinnt ist als die Menschen, die Sarrazin hochhalten. Jedenfalls sprach ich mit S., mit der ich noch nie über das Thema Integration als Problem geredet hatte, über Sarrazin. Geschichten hatten wir ausgetauscht, das ja, Geschichten, in denen wir uns Deutschland Schritt für Schritt eroberten. Lustige Geschichten. Zumindest im Nachhinein. Wie ich nach meiner ersten Übernachtung bei einer deutschen Freundin deren Mutter fragte, ob es nicht noch Spaghetti vom Vorabend gäbe, weil Müsli aus meiner damaligen russischen Sicht (aus einem Russland, in dem Müsli und andere westliche Produkte noch nicht Einzug gehalten hatten) wie Vogelfutter aussah und ein richtiges Frühstück für mich aus richtigen, warmen Speisen bestand. Wie sie, die heute promovierte Historikerin, bei einer Berufsberatung in der Hauptschule, die sie anfangs besuchte, weil ihre Mutter nichts über das dreigliedrige Schulsystem wusste, auf die Frage hin, was sie mal werden wolle, selbstbewusst und überzeugt antwortete: »Ich mechte Rechtsanweltin warden.« Wir sprachen nie über Integration als Prozess oder als Problem oder als Tatsache, vielleicht, weil wir sie lebten. Ich brachte ihr von meiner Mutter immer selbstgemachte Syrniki, russische Quarkküchlein, mit, sie erzählte mir von ihrer Oma in Bosnien, von der ein Foto mit Zigarette im Mund an ihrer Wand hing, das ich liebte. Selbstverständlich sprachen wir Deutsch. Waren wir naiv?
Das fragte ich sie, als wir an einem schönen Herbsttag auf einer Caféterrasse saßen und Kaffee tranken und Kuchen aßen, weil wir immer zusammen Kuchen essen. Der Hund lag
unter dem Tisch und hoffte auf Krümel, und mein kleiner deutsch-russisch-jüdisch-ungarischer Sohn lachte S., seine deutsch-jugoslawisch-kroatisch-bosniakisch-und-überzeugtatheistische Patentante an, weil sie mit ihm Faxen machte. Ich erzählte S. von meiner Verstörtheit und meinen Zweifeln und meinem Unwohlsein, und sie hörte kurz auf, den Kleinen zu kitzeln, und schaute mich mit diesem ungläubigen Blick an, den ich sonst manchmal zugeworfen bekomme, wenn ich Dinge nicht kenne, wie das Yps-Heft oder das Sesamstraßen-Lied oder andere Dinge, von denen die Kindheit meiner Generation geprägt wurde. Ich kenne sie nicht, weil meine Kindheit nun einmal aus anderen Zeichentrickfilmen, Zeitschriften und Spielen bestand. S. warf mir also diesen Blick zu und sagte: »Aber was hast du denn gedacht? Wir werden nie dazugehören, egal, was wir tun.« Es klang nicht verbittert, nur abgeklärt, und erschreckte mich deshalb noch mehr.
Dann erzählte sie mir noch ein paar Geschichten, die man unter Schlagworten wie Intoleranz, Desinteresse, Fremdenangst, Vorurteile, aber auch unter Ausgrenzung abspeichern könnte. Die Geschichten drehten sich unter anderem um Namen und Reaktionen auf Namen, gewöhnungsbedürftg klingende Namen. Namen, die zum Beispiel mit »ic« aufhörten. Oder viele einander folgende Konsonanten in sich trugen. Es ging um ihren eigenen Namen; den Namen einer ehemaligen Kollegin, die eigentlich urdeutsch war, aber
Weitere Kostenlose Bücher