'Sie können aber gut Deutsch'
Zucchini probieren?« Denn ich schäme mich neuerdings für mein Russisch. Russisch klingt hart, Russisch ist russische Mafia, Russisch sind die Besatzer der Roten Armee, Russisch ist wahrlich kein aufregendes Spanisch oder elegantes Französisch. Nicht ganz so schlimm wie Türkisch vielleicht, aber auch nicht viel besser.
Noch mehr schäme ich mich aber für diese Scham. Ich erzähle das zuhause meinem Mann, der sagt, dass er es toll findet, dass seine Frau und seine Kinder Russisch sprechen, also nehme ich mir vor, mich nicht mehr zu schämen und wieder nur Russisch mit ihnen zu sprechen. Tue ich auch am nächsten Tag in der S-Bahn. Möglichst leise. Und als die Frau, die uns gegenübersitzt, herüberschaut – vielleicht, weil sie das Kauderwelsch sonderbar findet hier in Deutschland, vielleicht aber auch nur, weil sie Kinder mag –, verspüre ich das dringende Bedürfnis, ihr zu sagen, dass ich Deutsch kann, richtig gut Deutsch kann, sie müsse sich keine Sorgen machen. Und dann schäme ich mich erneut.
Ich hatte diese Scham schon einmal empfunden, da war ich in der Pubertät und wollte so gerne sein wie die anderen und dann wieder anders, aber bitte genauso anders wie die anderen es zu sein versuchten, denen ich so sehr ähneln wollte. Weshalb ich meinen Eltern verbot, Russisch zu kochen, wenn meine Freunde kamen, aber grün gefärbte Haare hatte wie
diese. Ein paar Jahre später war ich erstaunt festzustellen, wie toll meine Familie mit ihrem russischen Touch ist, wie köstlich das russische Essen; über die Fotos, auf denen ich grüne Haare hatte, lachte ich nur noch. Noch später lernte ich, stolz auf das zu sein, was ich bin: eine verrückte deutsch-russisch-jüdische Mischung. Oder ist es doch eher russisch-deutschjüdisch? Muss ich mich nun entscheiden? Oder rede ich mir das ein?
Einer, der sich nicht schämt, beneidenswerterweise, sondern stolz ist, stolz auf sich und seine Familie, auf seine Freunde, auf sein Stadtviertel, in erster Linie aber auf sein Deutschland, ist Youssef Bassal. Youssef Bassal wurde während der letzten Fussball-WM bekannt, als alle einander und Deutschland lieb hatten und so einig feierten wie schon 2006, als die Welt zu Gast bei Freunden war. Bekannt wurde er, weil er eine gigantisch große Deutschlandfahne nähen ließ, um sie über seinen Elektroshop im berühmt-berüchtigten Berliner Stadtteil Neukölln zu hängen. Eines Nachts wurde sie von deutschen Linksradikalen heruntergerissen, Deutschland dürfe keinen Nationalstolz haben und so weiter, daraufhin ließen Youssef und sein Cousin Ibrahim eine neue Fahne nähen, die sie ab da zusammen mit Freunden jede Nacht bewachten. Das bekamen wiederum einige Journalisten mit, und was für eine wunderbare Geschichte für den schönen WM-Sommer sich daraus schreiben ließ: Die Deutschen lassen einen Libanesen nicht Deutschland feiern! Youssef Bassal sagte dann Sätze wie: »Wer diese Fahne beschädigt, beleidigt mich, meine Familie und Deutschland« oder »Wir leben hier, wir haben unsere Existenz hier, auch unsere Wurzeln – schon lange«, und das fanden alle gut, auch ich.
Youssef Bassal besuchte ich, weil ich wissen wollte, ob er die Sätze, die von mir hätten stammen können, immer noch so
spricht oder ob er sich mittlerweile so fühlt wie ich, so als sollte er gar nichts mehr sagen, weil es eh nichts bringt.
Youssef Bassal lebt in Neukölln: 300 000 Einwohner aus 160 Nationen, über 20 Prozent Ausländeranteil, deutschlandweit bekannt geworden unter anderem durch die Rütli-Schule. Aus Berlin-Mitte mit dem Bus nach Neukölln zu fahren, ist nicht nur eine Reise in eine andere Welt, sondern an diesem Tag für mich auch eine Erleichterung. Je mehr sich der Bus Neukölln nähert, desto mehr wird gedrängelt, laut gesprochen, sich quer über den Bus zugerufen, gelacht und gequatscht. Die Anzahl der Sprachen verdoppelt, dann vervierfacht sie sich, draußen türkische Bäcker, Call Shops, alles bunt und durcheinander und lauter als sonst irgendwo in Deutschland. Hier bin ich vielleicht die graue, deutsche Maus. Hier rufe ich meine Eltern an und spreche Russisch in meiner normalen Lautstärke, das fühlt sich gut an.
Youssef Bassal sagt: »Jetzt erst recht.« Er hänge die deutsche Fahne wieder auf, jetzt am 3. Oktober, und als ich ihn frage, warum, sieht er mich erstaunt an und antwortet: »Wegen der deutschen Einheit«, so als wären wir in den USA und übermorgen der 4. Juli. Die deutsche Fahne sei ihm heute noch wichtiger
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