'Sie können aber gut Deutsch'
wohl den Fehler begangen hatte, einen Kroaten zu heiraten; den Namen eines in Bayern geborenen, aufgewachsenen, studierten Halbgriechen, und die Geschichten endeten alle damit, dass die Namen, ohne Rücksicht auf Person, Hintergrund, Umfeld ausschlaggebend waren für eine bestimmte Art und Weise, mit der jeweiligen Person umzugehen. Ein Arzt mit einem solchen
Namen? Das kann doch nicht sein! Gut Deutsch verstehen mit einem solchen Namen? Das kann doch nicht sein!
Was mich daran erinnerte, wie ich einmal in eine Bücherei zu einer Lesung kam, meinen Namen nannte und erklärte, dass ich heute hier aus meinem Roman lesen sollte, woraufhin der Büchereimitarbeiter sehr langsam und überdeutlich zu mir sagte: »Woooo-llen Siiiiie Iiiiihre Jaaaa-ckeee aaauf-hängeeen?« und auf die Garderobe zeigte, für den Fall, dass ich ihn nicht verstand.
S. erzählte auch von guten Freunden und deren Familien, die natürlich nichts gegen Ausländer hätten, wie könne man nur, schließlich wähle man SPD, aber dann doch in einem Nebensatz fallen lassen, dass … Es gab eine Menge »dass«.
Was mich daran erinnerte, was die Mutter meines besten Freundes, die immerhin meine Bücher gelesen und gerade einen Nachmittag mit mir verbracht hatte, mir antwortete, als ich erwähnte, dass mir Sudokus mehr Spaß machten als Kreuzworträtsel: »Die Kreuzworträtsel sind ja auch nicht einfach mit der deutschen Sprache für Sie, nicht wahr?«
»Und jetzt? Und was kann man da machen?«, fragte ich S., nachdem ich mir die Geschichten angehört hatte. Es wurde langsam kälter und an der Zeit zu gehen.
»Nichts jetzt. Es ist so. Für die werden wir nie Deutsche sein. Egal, was wir tun.« Ich hätte jetzt etwas sagen können, etwas Staatstragendes über die Verallgemeinerung von »die« und über Veränderungen im Gesellschaftsverständnis, schließlich verwende jetzt auch Angela Merkel den Begriff »Einwanderungsland«, und über Generationenwechsel; ich schwieg. S. erzählte mir etwas über Nationalstaaten im Gegensatz zu Willensnationen und über die Gründung des Deutschen Reiches als Staat aller Deutschen und über den Nationalsozialismus und die Identitätsbildung danach, denn
S. ist Historikerin, und sie endete mit: »Wir haben einfach das falsche Blut.«
Dann folgte eine kurze Stille, bis sie sich zu meinem kleinen, nichts ahnenden Sohn beugte, der damals noch nicht einmal »Mama« sagen konnte, geschweige denn »Integration«, und kitzelte ihn und sagte zu ihm, dem in München geborenen, mit einem deutschen Kinderausweis ausgestatteten, jeden Tag die deutsche Sprache hörenden Jungen auf Deutsch: »Und deshalb wirst auch du nie ein Deutscher sein, gell, nie, nie, nie!« Er lachte daraufhin, weil sie in dieser Babysprache mit ihm sprach, die ihn immer zum Lachen brachte, und zum ersten Mal dachte ich, anstatt mich darüber zu freuen: »Was lachst du denn? Da gibt es nichts zu lachen!«
Und kurz dachte ich noch: Vielleicht hätte ich ihn Hans nennen sollen oder Jürgen. Hätte das was gebracht?
Ich möchte, dass meine Kinder auch Russisch sprechen. Sie sollen die russischen Kinderlieder und die russischen Märchen kennen, sie sind ein Teil von mir und damit ein Teil von ihnen, und das ist ein guter Teil. Natürlich kann ich ihnen »Schlaf, Kindlein, schlaf« vorsingen. Aber so richtig geht mir das Herz nur auf, wenn ich ihnen das russische Schlaflied singe, in dem das Märchen schon ins Bett gegangen ist, damit wir es in der Nacht träumen können, weshalb jetzt nun wirklich auch für uns Schlafenszeit ist. Das Lied, das meine Mutter mir immer sang. Und weil es mich berührt, berührt es auch sie, sie strahlen mich an, ich meine, dass sie meine Begeisterung spüren. Ist das schlimm? Sind meine Kinder und ich jetzt nicht deutsch genug?
Ich will meinen Kindern also Russisch beibringen, und aus linguistischer Sicht heißt das, dass ich mit ihnen möglichst nur Russisch sprechen sollte, damit sie durch klare Ansprechpartner deutlich zwischen mehreren Sprachen unterscheiden
können. Nur dass ich mich neuerdings schäme, in der Öffentlichkeit Russisch zu sprechen. Ich sitze mit meinem Sohn im Wartezimmer beim Arzt und erwische mich dabei, wie ich ins Deutsche wechsle, in dem Moment, wo jemand anderes den Raum betritt. Oder ich stehe im Biosupermarkt, wo auch all die anderen jungen Mütter Gemüse für den Karotten-Kartoffelbrei für die Kleinen kaufen, und sage plötzlich in meinem akzentfreien Deutsch zu ihm: »Na, wollen wir es mal mit
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