'Sie können aber gut Deutsch'
herausstellt, in einem anderen Neukölln. Sein Neukölln ist näher an der Grenze zu Kreuzberg. Er lebt mit seiner jungen Familie hier, wie so viele andere junge Familien, weil es cool ist und die Wohnungen nicht so teuer wie in anderen Vierteln Berlins. Seine Begeisterung für das Stadtviertel begründet er ähnlich wie Youssef Bassal: Es sei bunt und spannend und vielfältig. Künstler-Ateliers, Patchwork-Familien, unterschiedliche Biographien, verschiedene Kulturen, junge Menschen, die, wie sie meist beschrieben werden, »etwas mit Medien machen« oder »Projekte haben« und angeblich viel Latte Macchiato trinken. Und oft von hier wegziehen, wenn die Kinder ins Schulalter kommen, damit diese Schulen mit einem geringeren NdH-Anteil (noch so eine wunderschöne Wortschöpfung der deutschen Sprache: Schüler nicht deutscher Herkunft) besuchen können.
Der Freund, den ich traf, ist ein bisschen Deutscher, ein bisschen Schwede, ein bisschen Finne, er hat in Dänemark studiert und in der Schweiz gearbeitet, und seine Kinder sprechen Deutsch, Schwedisch, Schwyzerdütsch. Aber als ich ihm von meinem Treffen mit Youssef Bassal erzählte, lachte er mich aus und nannte mich naiv und sagte, weder er noch seine Frau noch seine Neuköllner Freunde hätten außerhalb von türkischen Gemüseläden irgendetwas mit den Youssef Bassals von Neukölln zu tun. Könne schon sein, dass die sich alle untereinander verstehen, erklärte er mir, aber doch nicht mit den anderen. Die anderen sind die Deutschen, die jungen Kulturprojektmenschen und die Künstler sowie die besseren Ausländer wie er zum Beispiel. Schwede steht höher im Kurs als Türke, das versteht sich von selbst. Ich schätze, Russen sind irgendwo dazwischen.
»Aber findest du das nicht schlimm?«, fragte ich.
»Nein, wieso? So ist es eben. So sind wir Menschen. Wir sind doch alle kleine Sarrazins.« Und dann zeigte er auf zwei arabisch aussehende Jugendliche, deren Hosen in Tennissocken steckten, die Basecap verkehrt herum auf dem Kopf, Hände in den Hosentaschen, sie wollten wohl gerne wie böse Rapper wirken und taten es auch – ja, das Klischee war in diesem Moment wie auf Kommando Wirklichkeit geworden – und wollte von mir wissen, ob er auf die beiden zugehen sollte, um mit ihnen Freundschaft zu schließen. Was ich darauf antworten könnte, wusste ich auch nicht.
Auf dem Weg ins Kino, ein paar Tage später, blieb ich wie zufällig an dem Stand eines türkischen Obsthändlers stehen. Eine deutsche Kundin bemitleidete ihn gerade lautstark aufgrund dieser ganzen Diskussion. Er schien nicht recht zu wissen, wie er darauf reagieren sollte, das Mitleid war spürbar und laut. »Geht es um Sarrazin?«, fragte ich, während ich die Äpfel begutachtete. »Mir ist es egal, woher die Menschen kommen. Ein Mensch ist in erster Linie ein Mensch«, antwortete er nicht direkt auf meine Frage. Ich hatte diesen Satz mehrmals in den letzten Wochen von Menschen mit Migrationshintergrund gehört, aber kein einziges Mal von jemandem ohne.
Nach dem Kinobesuch erzählte ich all das meinem blond-blauäugig-großen-besten Freund, und alleine die Tatsache, dass er mir antwortete, er könne meine Gefühle, meine Verwirrung nachvollziehen, dass er meine Gedanken nicht als unangebrachtes Gejammer abtat, ließ ein wenig von der Spannung der vergangenen Wochen von mir abfallen. Er und ich, wir sind zumindest noch im selben Deutschland.
Ganz zu Anfang der Debatte schaute ich Beckmann. Herr Sarrazin war in der Sendung sowie die Politiker Olaf Scholz und Renate Künast und dann noch Aygül Özkan, die wahrscheinlich beweisen sollte, dass die Türken nicht zwingend mit
schlechten Genen ausgestattet sind, denn immerhin ist sie niedersächsische Ministerin für Soziales, Frauen, Familie, Gesundheit und Integration und in der CDU. Aus demselben Grund war wohl auch der Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar eingeladen, der viele Zahlen kannte und viele Geschichten erzählte in einem schönen Deutsch, dem zuzuhören es Spaß machte, und Herr Beckmann gab den investigativen Journalisten, und es kam niemand richtig zu Wort. Ich regte mich von Anfang an auf, auf eine sehr undeutsche Weise. Ich sprang auf und protestierte lauthals und suchte nach Gegenständen, die ich nach dem TV-Gerät werfen könnte, und mein Mann sagte mehrmals, er kriege wegen meiner Kommentare gar nichts von der Sendung mit. Dann wurde eine Frau, die schöne, dunkle Locken hatte, zugeschaltet; sie trug Zahlen vor, die denen Herrn
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