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'Sie können aber gut Deutsch'

'Sie können aber gut Deutsch'

Titel: 'Sie können aber gut Deutsch' Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Gorelik
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näher zu beschreiben ich mich aus eben diesem Grund nicht traue. Plötzlich und teils recht überrascht fanden sie sich alle in einer Schublade wieder, die Schublade hieß DIE MUSLIME (in Klammern stand DIE ISLAMISTEN, womit die Terroristen gemeint waren). Man drängte sich darin und wunderte sich, weil man mit Menschen in eine Schublade gesteckt wurde, mit denen man nichts, aber auch gar nichts gemein hatte. Jemand von außen versuchte, die Schublade zuzuschieben, man wollte die Menschen nicht haben, die sich darin drängten und wunderten.
    Wann hat es wieder begonnen? Wann genau begannen meine Freunde und Bekannten sowie in der Öffentlichkeit stehende Persönlichkeiten »mit muslimischem Hintergrund« Begriffe wie »Auswandern« und »Zurückgehen« in ihren Sätzen zu verwenden, und die Statistiken, die besagen, die Abwanderung von Deutschland sei seit Jahren höher als die Zuwanderung, mit diesen Sätzen mit Leben zu füllen? Was mir Angst einjagte, weil ich manche vermissen würde, weil ich aber auch Angst hätte, in einem von Muslimen freien, gereinigten Deutschland zu leben. (Und wer würde als Nächstes zum Auswandern bewegt werden? Menschen wie ich? Wer waren denn Menschen wie ich? Mit wem würde ich in eine Schublade gesteckt werden? So viele derjenigen, die nun über Karrierechancen in anderen Ländern diskutierten, hatten sich niemals vorstellen können, in der Schublade DIE MUSLIME zu landen. In der schlimmsten Schublade, die es neben Kinderschändern in Deutschland derzeit gab. Oder muss es »gibt« heißen?)
    Hat es wirklich nur mit einem Buch begonnen bzw. mit einem Abdruck aus einem Buch, das dieses Land bewegen
sollte wie kein anderes Sachbuch in den vergangenen Jahren, wenn nicht Jahrzehnten? Das zu glauben, wäre absurd. Keiner glaubt lieber an die Kraft des geschriebenen Wortes, an Bücher als Autoren, wie ich eine bin, aber was das Buch in dem roten Umschlag auslöste, hat mit jener Kraft nichts zu tun. Es hat mit einer Stimmung zu tun, die bereits lange gärte, es hat mit dem berühmten fruchtbaren Boden zu tun, auf den die in dem Buch veröffentlichten Statistiken und Thesen fielen, es hat mit diesem einen Satz zu tun, der mehr aussagte als das gesamte Buch: »Endlich sagt mal einer …«, bis der Spieß plötzlich umgedreht wurde, der Jäger zum Gejagten wurde. Der furchtlose Chronist der Wahrheit, endlich einer, der den Mund aufgemacht hat – als habe er, sein Leben riskierend, Widerstand gegen ein totalitäres Regime wie das nationalsozialistische oder die DDR geleistet! Und anstatt dass sich jemand bedankt – als wären all die ausverkauften Lesungen, die Standing Ovations, die unzähligen Fernsehshows, die Verkaufszahlen des Buches nicht Dank genug gewesen; es wunderte einen nur noch, dass kein Film über den Helden gedreht wurde, aber der kommt vielleicht noch –, wurde der Arme gejagt und gehetzt und gemobbt und selbstverständlich auch noch komplett falsch verstanden. Zum Glück fanden sich noch ein paar Fürsprecher für ihn mit einem türkischen Hintergrund (ja, da war zum Beispiel plötzlich von den deutschtürkischen Intellektuellen die Rede, obwohl sonst in jenen Diskussionen so ein türkischer Hintergrund sogleich mit einem muslimischen gleichgesetzt wurde), die ihm in der (Fernseh-) Öffentlichkeit beipflichteten und ihn vor den bösen Aufklärern, vor den naiven Multikulti-Verherrlichern in Schutz nahmen und genau zu berichten wussten, wie schlimm der Islam an sich ist. Die Hetzjagd würde ich den Film, glaube ich, nennen, aber wer wurde hier eigentlich von wem gehetzt?

    Gehetzt wurden alle, die verdächtig waren – vergessen war »unschuldig, bis die Schuld bewiesen ist« –, irgendetwas, ich wiederhole, irgendetwas mit dem Islam zu tun zu haben. »Verdächtig« und »irgendetwas«, so schwammig die Beweise, aber man hatte plötzlich das Gefühl, die Mehrheit in diesem Land möchte eine der drei großen Weltreligionen am liebsten verbieten, ohne Begründung, sondern, weil man doch endlich mal sagen durfte, dass … Es kam von allen Seiten, von vielen überraschend und unerwartet, weshalb es noch mehr verletzte. Auch mich verletzte, obwohl ich doch gar nicht gemeint war. Die anderen, die Gemeinten, noch viel mehr verletzte, verständlicherweise, bis einige nicht mehr wollten, auch das: verständlich.
    Es kam nicht von allen Seiten, es kommt. Es verletzt nicht mehr, weil man sich daran gewöhnt hat, es erschreckt. Kurz nach dem Massaker in Norwegen sagte jemand in

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