Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
"Sie koennen aber gut Deutsch!"

"Sie koennen aber gut Deutsch!"

Titel: "Sie koennen aber gut Deutsch!" Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Gorelik
Vom Netzwerk:
unser großer Aufstieg, in einer Wohnhaussiedlung befand, die aus ehemaligen amerikanischen Offizierskasernen entstanden war. In Letzterer durften mich meine Freunde dann ab und zu besuchen, auch wenn ich ihren Eltern anmerkte, dass sie ein wenig um ihre Kinder fürchteten, wenn diese bei uns waren, aber sie wollten mich, die russische Freundin, dann doch tolerieren. Im Sprachgebrauch dieser Eltern war ich immer »die russische Freundin«. Bekam ich Besuch, so nahm ich meiner Mutter das Kochen ab. Meine Mutter, die russische Gerichte kochte, die sie in sowjetischem Geschirr servierte, war mir peinlich. In jener Zeit, die leider viel zu lange dauerte, war mir meine Familie des Öfteren peinlich, wofür ich mich heute in Grund und Boden schäme. Aber so groß war mein Wunsch, nicht mehr nur toleriert zu werden wie ein Mensch zweiter Klasse, der anders, aber, wir wollen mal nicht so sein, auch irgendwie willkommen ist, zumindest ein wenig, zumindest ab und zu, dass ich meine Familie verriet. Immer wieder, jeden
Tag aufs Neue, etwa wenn ich mir als Einzige wünschte, nicht von einer Klassenfahrt abgeholt zu werden, damit keiner meine Eltern sah, die nicht wie alle anderen mit dem Auto, sondern mit dem Bus kamen. So bestrebt war ich, deutsch zu werden, nicht mehr aufzufallen, mit meinen mittlerweile blondierten Haaren (nur die grünen Augen ließen sich nicht gegen blaue eintauschen), dass ich nicht nur meine Familie, sondern damit auch zunehmend mich selbst verleugnete. Bis ich nicht mehr wusste, wer oder was ich war, wo ich hingehörte, wer zu mir gehörte und überhaupt.
    Wie erstaunt, wie schockiert ich doch war, als ich ein paar Jahre später junge Menschen traf, die ein ähnliches Schicksal ereilt hatte wie mich. (So empfand ich die Situation, meinen Migrationshintergrund, damals: als ein schweres Schicksal, das mich ereilt hatte, ein Unglück, das nicht zu verhindern gewesen war, das große Pech, nicht von Geburt an Müller oder Meyer geheißen zu haben, sondern Gorelik! Gorelik, die Gorelik aus Russland, ich kam mir gebrandmarkt vor.) Aber die jungen Menschen, die ich traf, die gingen bewusst und selbstbewusst mit diesem vermeintlichen Makel um, waren gar stolz darauf, eine andere Herkunft zu haben, schienen davon zu zehren und zu profitieren, vor allem aber versteckten sie sie nicht. Im Gegensatz zu mir, die ich alle Spuren meiner Herkunft beseitigte und damit mich selbst aufgab und damit so schwer beschäftigt war, dass ich unglücklich wurde, ohne es zu merken. Meine neuen Freunde, die auch nicht von Geburt an Müller oder Meyer geheißen hatten, stellten unsere gemeinsamen deutschen Bekannten ihren Eltern mit einer Selbstverständlichkeit vor, die ich für mich niemals beansprucht hätte, weil ich meinte, dafür nicht die richtige Familie abbekommen zu haben. So selbstbewusst schienen andere mit ihrer Herkunft umzugehen, so natürlich waren sie das, was sie nun einmal
waren – in Deutschland geborene Italiener oder Deutsche mit türkischem Hintergrund oder Finnen mit einem deutschen Elternteil –, dass sie sich keine Gedanken darum machten, ob dieses Verhalten zu einem eventuellen Gefühl des Toleriert-Werdens führen könnte. Stießen sie dennoch auf Toleranz, so schienen sie diese nicht nur zu ignorieren, sondern sogar darüber zu stehen. Ich dagegen hatte mich immer kleiner und unbedeutender gefühlt, wenn und weil ich toleriert wurde; nun erlebte ich, wie die Tolerierenden klein, unbedeutend und sogar kleinlich wirkten, weil sie die Menschen tolerierten, die zwei Kulturen unkompliziert, voller Lebensfreude und vorteilhaft miteinander verbinden. Diese Menschen nahmen ihren Platz in der Gesellschaft mit einem solch sicheren Selbstwertgefühl ein, dass sie Toleranz nicht zu tolerieren schienen. Sie sagten Sätze wie »Bei uns macht man das so« oder »Bei uns isst man das so«, Sätze, die ich auch von meiner Mutter kannte, nur, dass sie dabei nicht entschuldigend klangen wie bei ihr, nicht beschämt, sondern mit einer Selbstverständlichkeit hervorgebracht wurden, in der manchmal sogar Stolz mitschwang. Jahrelang hatte ich Sätze dieser Art so gut es ging vermieden, indem ich – zumindest in der deutschen »Öffentlichkeit« – nichts tat, »wie man es bei uns tat«. Ich wurde neidisch auf diese anderen, auf diese anderen Deutschen, ich lernte von ihnen. Lernte, im Bus

Weitere Kostenlose Bücher