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"Sie koennen aber gut Deutsch!"

"Sie koennen aber gut Deutsch!"

Titel: "Sie koennen aber gut Deutsch!" Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Gorelik
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den gesamten Tag Gedanken darüber mache, ob die anderen Gäste ihn nicht »eklig« und »igitt« finden werden, ob ich nicht wieder toleriert werde, weil man seiner Vergangenheit nicht entkommt, weil uns das, was wir an Erfahrungen machen, nun einmal prägt. Das zu verleugnen – zum Beispiel, indem man annimmt, wer in ein anderes Land kommt, wird ein anderer, neuer Mensch und kann seine Vergangenheit einfach ablegen, womit wir beim eigentlichen Thema wären –, ist schlicht und ergreifend hirnrissig. Sowie vollkommen realitätsfremd.
    (Bislang ging der Kartoffelsalat immer gut weg. Ich erwähne das nicht deshalb, weil ich Werbung für den russischen Kartoffelsalat machen möchte, sondern um deutlich zu machen, dass meine Ängste davor, toleriert zu werden, auf früheren Erfahrungen beruhen, nicht unbedingt auf aktuellen Begebenheiten. Dass mir also durchaus klar ist, dass Erlebnisse aus meiner Kindheit in einer Kleinstadt nicht pauschalisierend auf die deutsche Mehrheitsgesellschaft zu übertragen sind, und auch wir Nicht-Urdeutschen, in dem Fall also ich, gut daran täten, unsere Ängste in dem Maße abzubauen, wie auf der anderen Seite mögliche Toleranzgefühle abgebaut werden).
    Ein Filmemacher mit vietnamesischen Wurzeln – die in einem vietnamesischen Elternteil bestehen, ohne jegliche vietnamesische Sprachkenntnisse, dafür aber mit asiatischen Gesichtszügen und aufgrund dieser Tatsache zu vielen Toleranz-Erfahrungen  – sagte letztens zu mir, ihm sei noch lieber die Ignoranz. Einfach die Ignoranz derer, die anders sind, die man vielleicht sonderbar findet, deren Torten einem verdächtig vorkommen oder nicht schmecken, derer, mit denen man nichts anfangen kann. Das Zugeständnis, nebeneinander (und nicht miteinander), also einander ignorierend leben zu können, reiche ihm vollkommen. Sei allemal besser als Toleranz, sei
vielleicht gar Demokratie. (Ich fand den Gedanken traurig, Demokratie mit einem Zustand der Ignoranz gleichzusetzen, aber allerdings immer noch besser als die Erinnerung an Toleranz.)
    Aber da wir schon bei anz-Begriffen sind: Wie wäre es einfach mit Akzeptanz? Wie wäre es, wenn wir alle einfach nur akzeptieren, dass es Menschen gibt, die anders leben, lieben, glauben, denken, lesen, sprechen, fühlen, arbeiten, erziehen, essen, trinken, gestalten, handeln, meinen als wir selbst? Dieses einfache Konstrukt der Akzeptanz wird in der Diskussion hierzulande, so meint man manchmal, als naiv abgetan, dabei ist es doch ein Fortschritt des Menschen, ja der Menschheit, zu lernen und zu akzeptieren. Von Nicht-Akzeptanz zur Akzeptanz zu gelangen, ist ein Schritt der Gesellschaft in die Demokratie, so einfach oder naiv das auch scheinen mag. Akzeptanz baut Hierarchien ab, die Toleranz mit sich bringt. Akzeptanz fordert von den einen wie von den anderen und sorgt damit für Gleichberechtigung. Akzeptanz bedeutet, dass man den anderen nicht mehr duldet, sondern annimmt. Ein einfacher Gedanke, den man bereits aus der Lesben- und Schwulen-Bewegung kennt und der alles andere als naiv ist. Es ist ein Gedanke, der, wenn man ihn als Leitfaden mit in den Alltag nimmt, das Leben aller Beteiligten vereinfacht. Gilt er als naiv, weil es unmöglich scheint? Ist es übermenschlich zu akzeptieren, dass Menschen anders sind als man selbst? Dass Andersartigkeit einen nicht bedroht, sondern einfach nur eine wertfreie Tatsache ist: Du bist anders als ich. (Und das bist du nicht, um mich zu bedrohen, mich zu verändern oder mir etwas wegzunehmen.)
    Und wenn man das akzeptiert, wenn man das einmal verstanden hat, dann ist die Bitte »Such was Neues, such einen neuen Namen!«, die ich nicht nur von der Frau mit türkischen
Wurzeln, die mit Jugendlichen mit Migrationshintergrund arbeitet, sondern von vielen meiner Gesprächspartner zu diesem Thema gehört habe, tatsächlich obsolet. Weil man dann die Menschen nicht mehr abhängig von ihrer Herkunft, ihrem Geburtsort, ihrer Muttersprache abgrenzen muss, sondern sie ohne Sinn und Verstand in denselben Topf werfen kann. Es würde dazu führen, dass man nicht mehr das Gefühl haben müsste, niemals richtig dazugehören zu dürfen, auch wenn man noch so sehr wollte, vielleicht jemand anders werden zu müssen oder, schlimmer noch, besser als jemand anders geboren worden zu sein, um dazuzugehören. Wenn all das keine Rolle mehr spielt, man nicht länger durch

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