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"Sie koennen aber gut Deutsch!"

"Sie koennen aber gut Deutsch!"

Titel: "Sie koennen aber gut Deutsch!" Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Gorelik
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russischsprachige Bücher zu lesen, lernte, deutschen Freunden russisches Essen vorzusetzen, lernte, Russisch mit russischen Freunden auch in der U-Bahn zu sprechen, lernte, wer ich war. Es war ein längerer Prozess, ehrlicherweise vielleicht sogar einer, den ich bis heute nicht abgeschlossen habe. Je mehr ich lernte, desto besser ging es mir.
    Es war mein zwölfter Geburtstag, mein erster Geburtstag, den ich mit deutschen Freunden feierte. Und so aufgeregt wie
ich war auch meine Familie, vielleicht, weil sie merkte, wie aufgeregt ich war, vielleicht einfach nur, weil sie mir eine Feier bieten wollte wie die, von denen ich erzählt hatte, nachdem ich meine ersten beiden deutschen Kindergeburtstage erlebt hatte. Meine Eltern spürten, vielleicht sagte ich es ihnen auch, wie wichtig es mir war, einen deutschen Geburtstag zu haben, und sie taten ihr Möglichstes, nicht sie selbst zu sein. Ich hatte mich beim Programm, das ich für meine Feier entwarf, minutiös an dem orientiert, was ich bei meinen deutschen Freunden kennengelernt hatte. Ich hatte das Programm alleine erarbeitet, weil meine Eltern, die für mich in der Sowjetunion die großartigsten und beliebtesten Kinderpartys ausgerichtet hatten, nicht wussten, wie ein deutscher Kindergeburtstag auszusehen hatte, sich wohl auch bereits im Vorfeld für ihre deutsche Aussprache schämten, die meine Schulfreunde nicht immer verstanden. Nur eines behielt ich aus meiner Kindheit bei: Ich wollte »meine« Geburtstagstorte haben. Nun muss man wissen, dass russische Torten keine Sahne-, sondern Buttercremetorten sind, süß und klebrig. Auf die meine wird Schokoladenkuvertüre getröpfelt, anstatt sie komplett mit einem Schokoladenüberzug zu versehen, was sie für deutsche Augen ungewohnt aussehen lässt. Der Zubereitungsprozess meiner Torte dauert aufgrund der vielen verschiedenen Schichten einen halben Tag. Sie ist eine Kalorienbombe, bei der man jede einzelne Kalorie schmeckt. Eine köstlichere Süßigkeit kenne ich nicht. Es war das erste Mal, dass meine Mutter in Deutschland diese Torte buk, deren Rezept sie übrigens, wie ich vor kurzem erfahren habe, interessanterweise in der russischsprachigen Ausgabe der Burda vor Jahren in der Sowjetunion gefunden hatte; man hatte geglaubt, eine deutsche Torte zu backen. Ich freute mich riesig auf den Geschmack auf meiner Zunge, den ich in Deutschland vermisst hatte.

    Meine Freunde fanden die Torte befremdlich, was sie mit Ausdrücken wie »Iiiiih«, »Igitt« und »Eklig« deutlich zu erkennen gaben, Aussagen, für die ich von meinen Eltern in ein anderes Zimmer geschickt worden wäre, weil Essen einem manchmal nicht schmeckt, aber nicht eklig ist. Am Diplomatischsten versuchte es ein Mädchen, das behauptete, gerade eben zuhause gegessen zu haben. Sie sagte es angewidert nach einem Blick auf die Torte, das schmerzte nicht weniger. Die Torte aß niemand, das brach mir innerlich das Herz, ich schämte mich doppelt. Ich schämte mich für die Torte, schämte mich, weil ich mir vorstellte, wie die anderen auf dem Nachhauseweg ihren sie abholenden Eltern von der »ekeligen Geburtstagstorte« berichten würden, die es bei Lena gegeben hatte. Die Eltern würden mich tolerieren, das wusste ich, auch das gab mir ein ungutes Gefühl. Ich schämte mich aber auch für meine Freunde, schämte mich ausnahmsweise – und im Rückblick endlich einmal! – meiner Mutter gegenüber, die den halben Tag in der Küche gestanden hatte, um mir, mir, aber auch meinen Freunden, eine Freude mit dieser Torte zu machen, um ihrer Tochter einen perfekten Geburtstag zu bereiten.
    Wie wird man solche Erfahrungen wieder los? Sie brennen sich in der Erinnerung fest, nicht nur als Ereignis an sich, sondern vor allem als die Gefühle, die damit einhergingen, die Scham, auch kurz der Hass auf die anderen Kinder. Jahrelang vermied ich es, jemandem russisches Essen anzubieten, jahrelang aß ich Dinge wie meine Lieblingstorte alleine, nahm auch nichts Derartiges in die Schule mit. Selbst viele Jahre später, nachdem ich ein wenig über die Angst des Nicht-toleriertwerdens hinweggekommen bin und der russische Kartoffelsalat in meinem Umkreis legendär geworden ist, hasse ich es, wenn ich Freunde frage, was ich zur Party mitbringen soll, und sie antworten: »Den russischen Kartoffelsalat natürlich.« Weil
es für mich bedeutet, dass ich mir

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