"Sie koennen aber gut Deutsch!"
möchte ich die Frage beantworten, ob ich mich nun als Russin oder als Deutsche fühle. Wobei ich zumindest bei Lesungen das Gefühl nicht loswerde, dass das Publikum sich darüber freuen würde, wenn ich »Deutsche« antworten würde, als endgültigen Beweis dafür, dass man als »Mensch mit Migrationshintergrund« nicht nur die deutsche Sprache akzent- und fehlerfrei erlernen kann, sondern tatsächlich auch emotional ein Deutscher werden kann.
Wir wissen schon, wie wir unsere Ausländer haben wollen, und wenn es nicht alle schaffen, dann sollen zumindest die Vorzeigeausländer so sein, wie wir sie haben wollen.
Die üblichen Fragen an einen Vorzeigeausländer (und dessen Antworten) sind:
»Wie haben Sie sich so gut integriert?« â Ich weià nicht, ich bin nun Mitglied im Kegelklub und im Gesangsverein und esse jeden Tag pünktlich um 12 Uhr zu Mittag.«
»Haben Sie den Eindruck, zwischen zwei Stühlen zu sitzen?«  â Nee, normalerweise nur auf einem. Manchmal sitze ich auch gerne auf der Couch.
»Was ist Ihre Heimat?« â Russland. Weil Heimat immer mit Kindheitsgerüchen verbunden bleiben wird, etwa dem der Metro, wenn man die lange Rolltreppe in den Sankt Petersburger U-Bahn-Stationen hinunterfährt, dem der Birken in den Wäldern, in denen ich essbare Pilze von den giftigen zu unterscheiden lernte, dem Pilzgeruch an meinen Händen, dem Duft nach Apfelkuchen, wenn Oma gebacken hatte ⦠Schockiert,
weil ich »Russland« antworte? Dann fragen Sie mich nach meinem Zuhause.
»Fahren Sie also trotzdem gerne in Ihre Heimat?« â Trotz was?
»Haben Sie Ideen, Vorschläge, wie man andere Migranten, die sich da, sagen wir mal, schwerer tun als Sie, sich zu integrieren, dazu bringen könnte, ebendies zu tun?« â Nein, die Tatsache, dass ich gut Deutsch spreche, bedeutet nicht, dass ich ein Patentrezept entwickelt habe, mit dem man alle â auch die aus Ãngsten heraus imaginierten â Probleme lösen kann.
Wenn ich jemanden sehe, der etwas gut kann, der ein Buch geschrieben, einen Film gemacht, Lieder komponiert, Menschenleben gerettet, eine Studie veröffentlicht oder sonst irgendetwas Bemerkenswertes hervorgebracht hat, dann interessiert er mich vor allem aus diesem Grund, eben, weil er etwas gut kann. Und nicht, weil er etwas gut kann, obwohl er einen Migrationshintergrund hat. (Wenn überhaupt, dann hat dieser Jemand aus meiner Sicht eher noch einen Vorteil durch diesen, er kann also etwas, weil er den Reichtum mehrerer Kulturen geschenkt bekommen hat, Reichtum wie bereichernd.) Mich interessiert sein Können, dieser Mensch an sich, nicht in erster Linie seine Herkunft. Ein türkischstämmiger Freund von mir, der Journalist ist und viel über die Türkei sowie die türkische Gemeinde in Deutschland berichtet, weil er immer für diese Themen »abgestellt« wird, hatte sich eines Herbstes in der Kulturredaktion seiner Zeitung gemeldet, weil er gerne etwas für die Literaturbeilage, die zur Buchmesse erscheinen sollte, schreiben wollte. Die Kulturredaktion freute sich, weil sie eine Rezension zu dem Buch eines türkischen Autors brauchen konnte. Was er mir eines Abends traurig erzählte und mit den Worten schloss: »Aber ich lese doch
gerne Bücher und schreibe gerne darüber. Also Bücher im Allgemeinen, nicht nur die türkischer Autoren.«
Menschen sind Individuen, mit ihren Fähigkeiten, ihren Interessen, ihren Talenten. Sie sind es, unabhängig von der Frage, aus welcher Region dieser Welt sie oder ihre Familien stammen. Unser Interesse an ihnen sollte ein Interesse an diesen Individuen sein und nicht von der alleinigen Frage geleitet werden, ob sie sich denn nun wirklich als Deutsche fühlen oder das nur nach auÃen hin so wirkt, weil sie sich so fein integriert hätten.
Ich bin das, was gemeinhin als »gut integriert« bezeichnet wird, und weil ich das bin, sage ich: Ich möchte gerne in einem Land leben, in dem man sich für mich als Mensch interessiert, nicht nur für meine so genannte erfolgreiche Integration. Ich möchte kein gutes Beispiel sein, ich möchte ein ein Puzzleteilchen, Teil dieses Landes sein. Ich möchte nicht darüber nachdenken müssen, zu wie viel Prozent ich mich deutsch, zu wie viel russisch fühle. Ich wünsche den Menschen in diesem Land, dass sie sich diese Gedanken
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