"Sie koennen aber gut Deutsch!"
nach dem Mittagessen zum Spielen zu mir nachhause kommen? Ich habe meine Mama schon gefragt, das geht in Ordnung.« Ich war betroffen, weil die Mama gefragt werden musste, ob ich kommen könne, ich fühlte mich, als hätte mir jemand einen Terminzettel in die Hand gedrückt so wie die Sprechstundenhilfe beim Arzt. Ich war verwirrt, weil die Uhrzeit »nach dem Mittagessen« lautete, um deutlich zu machen, dass ich zuhause zu essen hatte, und ich wollte eigentlich nicht mehr hin. In Russland hatte ich meine Freunde, auch gerne mehrere auf einmal, nach der Schule spontan mit nachhause gebracht, wir stampften in unseren schneeverschmutzten Stiefeln in den Flur und riefen einfach »Hallo«, dass sie mitessen würden, verstand sich von selbst, das musste nicht angekündigt oder erwähnt werden. Wenn ich nicht pünktlich zuhause war, wunderten sich meine Eltern nicht, wo ich blieb, weil sie davon ausgingen, dass ich bei Freunden wäre; vergaà ich anzurufen und zu sagen, wo genau ich war, starteten sie einen Rundruf. Hätte ich meine Mutter gefragt, ob mich jemand besuchen dürfe, wäre sie misstrauisch geworden ob der mitzubringenden Person: Stimmt was mit dieser Freundin nicht, wenn die Lena so fragt? Weshalb ich in Deutschland immer log, wenn ich Freunde zu mir einlud und sie antworteten: »Willst du nicht erst deine Eltern fragen?« Warum? Sie hätten niemals Nein gesagt.
Es wurde mit der Zeit nicht besser. Ein wenig vielleicht zu Studienzeiten, als alle Freunde in WGs lebten und alles ineinander zu flieÃen schien, es gab nicht viele feste Zeiten, Vorlesungen lieÃen sich schwänzen, Mitbewohner zogen ein und aus, Freunde zogen um und weiter. Dann war das Studium vorbei, man mietete sich eine eigene Wohnung, richtete sie im Ikea-Stil ein und verlieh ihr durch die eine oder andere Designer-Lampe eine persönliche Note, man wurde häuslich, fing an, Freunde zum Kochen einzuladen. Man wählt vorher in einem teuren Kochbuch ein Rezept aus, besorgt in einem Bioladen oder auf dem Markt die richtigen Zutaten, der Esstisch bekommt eine Tischdekoration verpasst, die Gäste bringen Wein und Nachtisch mit, es wird gespeist. Es wird gespeist, mit sehr guten, gar besten Freunden, man isst nach Plan und Verabredung an einem dekorierten Tisch. Ich machte und mache es genauso, ich mache sie nach, bedanke mich für den Wein, versuche, mir eine Tischdeko einfallen zu lassen, woran ich immer wieder scheitere, aber ich stelle die Bräuche nicht mehr in Frage, dazu lebe ich zu lange hier.
Zwischendrin fahre ich nach Russland, wo um eine Abendesseneinladung nicht viel Aufhebens gemacht wird, sondern man spontan bei Freunden klingelt, aber groÃartig unkompliziert essen kann, weil die Gastgeber gemäà russischer Gastfreundschaft den Kühlschrank plündern und ohne Kochbuch aus den vorhandenen Zutaten etwas zubereiten. Immer steht mehr auf dem Tisch, als man an einem Abend essen kann, als man dem Inhalt des Kühlschranks auch nur im Entferntesten zugetraut hätte, es gibt keine Tischdekoration, aber dafür Wodka, am Ende viele Umarmungen, ich fühle mich wohl und stelle erstaunt fest, wie entspannt ich plötzlich bin. Deutsche Freunde, die ich mit nach Russland brachte, stellten fest, wie entspannt sie waren. Weil willkommen aus vollstem Herzen.
Deniz Baspinar erzählte mir: »Wenn ich in der Türkei auf eine Party gehe, kommt sofort jemand auf mich zu und kümmert sich um mich. Wenn ich in Deutschland auf eine Party gehe, stehe ich erst eine Weile alleine herum. Ich bin auf einer türkischen Party entspannter.« Ich verstand, was sie meint, obwohl die Türkei und Russland dann doch sehr unterschiedliche Länder mit sehr unterschiedlichen Bräuchen sind.
Deniz Baspinar ist eine von denen, die einen groÃen Unterschied zwischen den Begriffen »Zwangsehe« und »arrangierte Ehe« macht. Begriffe wie diese, zu denen auch »Kopftuch« und »Burka« und »Frauenunterdrückung« gehören â scheinen die Debatten um Integration und insbesondere um die Muslime voranzutreiben, weil sich an ihnen so vieles festmachen lässt. Man sieht in der U-Bahn eine Frau mit Kopftuch und meint, alles über sie zu wissen: eine arme muslimische Frau, die in die Ehe gezwungen wurde, eine ungebildete Kindergebärerin ohne Mitspracherecht in der Ehe. Bleibt man jenseits der Bilder im Kopf dennoch hellhörig, dann wird
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