"Sie koennen aber gut Deutsch!"
Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden als jemand, der sich mit denselben Voraussetzungen und dem schönen deutschen Namen Müller oder Schmidt bewirbt. Habe ebenfalls gelesen, dass die Chance auf ein Vorstellungsgespräch noch um weitere zehn Prozent sinkt, wenn es sich bei dem einstellenden Unternehmen um ein kleines handelt. Ich kenne die Studien und bin nicht naiv, bilde mir aber dennoch manchmal ein, dass die Realität in meinem Kopf (die Realität, in der ich in einem Land lebe, in dem der berufliche Erfolg eines Menschen nicht vom Klang seines Namens abhängt) der Wirklichkeit entspricht.
»Ich habe am Telefon einfach den deutschen Nachnamen meines Stiefvaters verwendet, da waren die Menschen gleich freundlicher und offener«, erklärte meine Freundin und schien sich mit dieser Tatsache so sehr abgefunden zu haben, dass ich noch mehr erschrak. So einfach wurden die Studienerkenntnisse an meinem Frühstückstisch Realität.
Ein paar Monate, vielleicht sogar ein, zwei Jahre später las ich in der Zeitung, dass zur Diskussion stehe, den Inder Anshu Jain, der noch nicht einmal Deutsch spricht, zum Vorstandsvorsitzenden des Traditionsunternehmens Deutsche Bank zu ernennen. Das sei nicht gut für die Stimmung in diesem Land, erklärte mir mein Mann mal wieder am Frühstückstisch, dass ein Inder, der noch nicht einmal der deutschen Sprache mächtig ist, auch noch Anhänger des Jainismus (was auch immer das sein soll, würden die meisten in unserem
christlich-abendländischen Land denken), das urdeutsche Unternehmen, eines der groÃen Symbole der deutschen Wirtschaft, repräsentiere. Die jährliche Bilanz-Pressekonferenz abhalte, sprich: in der Tagesschau, dem Symbol des deutschen Fernsehens, die Zahlen der Deutschen Bank auf Englisch vortrage und dabei synchronisiert werde; das würde dem GroÃteil der Bevölkerung nicht gefallen, erläuterte mir mein Mann.
(Des Ãfteren versucht mir mein Mann zu erklären, wie »ein GroÃteil der Bevölkerung« hierzulande tickt, der GroÃteil, der mit dem Gedankengut meines Freundeskreises laut diesen Beschreibungen so gut wie gar nichts gemein hat, der GroÃteil, den ich nicht kenne oder nicht kennen will? Lange Zeit nannte ich ihn einen Schwarzseher, unterstellte ihm Pessimismus, empörte mich darüber, dass er mit seinen negativen Beschreibungen mein schönes â und ich werde an dieser Stelle das Wort »bunt« bewusst vermeiden â Deutschland hässlicher machte, als es in der Realität in meinem Kopf nun einmal war. Nachdem aber die Debatte um Thilo Sarrazins Thesen entbrannt war und ich Begeisterungsrufe aus jeder Ecke hörte und kaum Buh-Rufe, auÃer von engen Freunden, da widersprach ich etwas seltener, wenn mein Mann mir zu erklären versuchte, wie »ein GroÃteil der Bevölkerung« tickt.)
Jedenfalls wurde nun in den Medien und vor allen Dingen in der Deutschen Bank selbst diskutiert, ob der Inder Anshu Jain zum Vorstandsvorsitzenden dieses Traditionsunternehmens ernannt werden sollte, alleine oder als Teil einer Doppelspitze, eine Diskussion, die ich bis zum Punkt Sprachkenntnisse auch nachvollziehen konnte, denn ja, wer in diesem Land lebt, erst recht, wer einem traditionsreichen Unternehmen dieses Landes vorstehen will, wer mit dem Bundesfinanzministerium, also der Regierung dieses Landes, verhandelt, muss auch
meiner Ansicht nach die Sprache dieses Landes â bis zu einem gewissen Punkt â beherrschen, selbst wenn in anderen Ländern ausländische Vorstandsmitglieder an der Spitze von Weltkonzernen nichts Ungewöhnliches sind. So weit, so gut und unbestritten, aber ich war mir, während ich die Medienkommentare zu diesem Thema verfolgte, unsicher, ob es in der Diskussion tatsächlich um die Sprachkenntnisse des aus fachlicher Sicht ausgezeichnet auf diese Stelle vorbereiteten Inders Anshu Jain ging oder um etwas anderes. Zum Beispiel darum: Dass DER INDER UNS DIE JOBS wegnehmen könnte. Und zwar genau so: Der Inder. Uns. Die Jobs.
Eine Angst, der ich unterstelle, dass sie sich nicht nur dann breitmacht, wenn es darum geht, den höchsten Posten in einem der gröÃten, bekanntesten und prestigeträchtigsten Unternehmen dieses Landes zu besetzen, sondern sich tagtäglich einstellt. Wenn zum Beispiel im örtlichen Supermarkt der Job des Filialleiters frei wird. Und zur Disposition steht, dass Frau Giovanni, seit
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