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"Sie koennen aber gut Deutsch!"

"Sie koennen aber gut Deutsch!"

Titel: "Sie koennen aber gut Deutsch!" Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Gorelik
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arbeitet, wird ein wenig aus ihrem schrecklichen Leben im bösen Russland erzählen. Eine Hip-Hop-Gruppe russischer Jugendlicher führt ein paar Tänze auf, die armen Jungen freuen sich bestimmt über ein wenig Taschengeld. Und als Höhepunkt: Eine russische Schriftstellerin liest aus ihrem Buch. Die russische Schriftstellerin bin ich. Wo ich gelandet bin, warum ich hier gelandet bin, wird mir erst bewusst, als ich ankomme. Bereits bei der Begrüßung beschleicht mich der Gedanke, man habe bei der Einladung mehr Wert auf das »russisch« gelegt als auf die »Schriftstellerin«. Wir halten den üblichen Small Talk – Organisationskram und Programmablauf, der Föhn in München, die Deutsche Bahn, jemand werde mich nach der Veranstaltung zum Bahnhof fahren, »danke, wie nett«. Ein kleiner Saal des Gemeindezentrums, Stuhlreihen, eine kleine Bühne, ein kaltes, mit Plastikfolie abgedecktes Büffet, Sekt- und Saftgläser, zwei Blumensträuße in Vasen, ein kleinerer, ein großer.

    Die Frau, die in der Boutique der Schwägerin von Frau Müller arbeitet, erzählt frei, ohne Stichworte auf Karteikarten, ohne Stottern. Frau Müller sitzt in der ersten Reihe und nickt bei jedem Satz, aufmerksam, konzentriert und ein wenig stolz, »die habe ich mitgebracht«. Sie berichtet von der Verfolgung von Russlanddeutschen in Kasachstan, von ihrem Außenseitertum in der Schule, von ihren drei Abtreibungen, die so gang und gäbe waren im Ostblock. Sie erzählt auch davon, wie sie damals ankam in der mittelgroßen, bayerischen Stadt, die erst fremd war und dann nicht mehr, den Job in der Boutique von Frau Müllers Schwägerin fand, ihr Mann eine Arbeit in einem großen Industrieunternehmen, wie sie ein Haus bauten, wie sie jetzt ihrem frisch verheirateten Sohn helfen, ebenfalls eines zu bauen. Von fremd in der Heimat zu Grundstückbesitzern. Die Art, wie sie frei spricht, den Zuhörerinnen direkt ins Gesicht schaut und spürbar emotional wird, als sie von den Abtreibungen erzählt, vermag alle zu fesseln, auch den Tontechniker, den einzigen anwesenden Mann, der nun nicht mehr auf seinen Computer starrt, sondern gebannt auf die Bühne blickt.
    Die Hip-Hop-Dancer, fünf coole Jungs, tanzen geübt, einmal patzt einer kurz und fällt hin, und sie gehen professionell darüber hinweg. Sie sehen ein bisschen rau aus, wie sie da in ihren Baggypants und weißen Sneakers herumspringen und sich auf einer Hand stehend drehen. Sie lächeln nicht, wirken im besten Fall konzentriert; man könnte auch sagen: unfreundlich, böse. Hip-Hop-Dancer, Gangster, yeah. Sie werden beklatscht, höflich und kürzer als der vorangegangene Programmpunkt. Frau Müller und Frau Kraus und ihre Freundinnen denken, wie interessant, was diese Jungen machen, wie die sich bewegen können, da braucht man Kraft und: wie gut, dass mein Kind jetzt gerade seine Lateinhausaufgaben macht. Aber
vielleicht denken sie das auch nicht, und ich bin diejenige, die denkt, dass sie denken …
    Und dann komme ich. Ich lese, das Übliche, die Texte kann ich fast auswendig, das Spannendste an den Lesungen sind die Fragen danach, das Schönste das Signieren. Ich lese von einem kleinen Mädchen vor, das aus Russland nach Deutschland kommt, die Sprache erst nicht versteht, sich fremd fühlt und später nicht mehr. Die Vorurteile kennt und hasst und ein wenig mit ihrer Herkunft hadert. Ob das Mädchen ich bin, lautet immer die erste Frage nach der Lesung. Manchmal ja, manchmal nein, antworte ich. Manches erfinde ich, an manches erinnere ich mich, bevor ich es aufschreibe, dichte ich alles im Kopf um. Die Damen hören zu, aufmerksam, sie lachen an den richtigen Stellen, sie klatschen nach jedem Kapitel. Angenehme Stimmung im Saal. Der Abend nähert sich den Häppchen. Ich will noch ein letztes Kapitel lesen, das Zahnarzt-Kapitel. Das Zahnarzt-Kapitel handelt von einem Zahnarzt, der etwa zehn russischen Kindern, die mit ihren kaum Deutsch sprechenden Eltern zu ihm kamen, jeweils vier gesunde Zähne zog, um sie dann zu seinem Freund, dem Kieferorthopäden zu schicken, der den Kindern jeweils eine feste Zahnspange für die kommenden drei Jahre verpasste, um ebendiese Lücken zu schließen. Jetzt könnte man anfangen zu rechnen, zehn Kinder à vier Zähne, à zehn Zahnspangen. Man könnte, wenn man wollte, man muss aber nicht.
    Ich lese, nicht

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