Sie kommen!: Ein Blog vom Ende der Welt (German Edition)
und will keine weitere Sekunde verschwenden. Es ist ohnehin ein Himmelfahrtskommando, und das sollte ich schnell hinter mich bringen. An die Wand gepresst, schiebe ich mich durch den eisigen, dunklen Flur, eine Hand auf dem kalten Stein, um die Balance zu halten. Marias Karte ist mehr oder weniger unbrauchbar. Schriftrollen aus dem Toten Meer sind leichter zu entziffern. Ich glaube, das Ding will mir sagen, dass es sich bei dieser Hintertür um einen Angestellteneingang handelt. Der Menge von Zigarettenkippen, die über den Boden verstreut sind, nach zu urteilen, muss es der beliebteste Platz für Zigarettenpausen sein. Der Flur hat drei Ausläufer, zwei davon mit Türen, einer ist ein weiterführender Korridor. Es gibt eine vage Andeutung, wo ich hingehen sollte. Vorschläge aus rot gepunkteten Linien auf der Karte. Ich erinnere mich, dass Dobbs eine Explosion erwähnt hat, also gehe ich weiter und suche nach Spuren einer Sprengung.
Stimmen kommen und gehen, hallen den Flur hinunter und dringen aus Luftschächten hoch über mir. Eine elende Situation. Keine Chance zu erkennen, ob die Wachen gleich um die nächste Ecke stehen oder am Ende eines anderen Flures. Es ist, als versuchte man, in einer gewundenen leeren Rohrleitung mit Echos und Klingeltönen von allen Seiten zu laufen. Ich passiere etwas, das wie ein Pausenraum aussieht. Er ist leer bis auf ein paar Tische und Verkaufsautomaten mit eingeschlagenem Glas. Die Vorstellung, hier längere Zeit zu leben, verursacht mir spontan eine Gänsehaut, so steril und kalt wirken Farben und Oberflächen. Das soll nicht heißen, dass die Arena besonders gemütlich gewesen wäre, aber wenigstens gab es dort ein paar farbenfrohe Zelte. Vielleicht sorgen nur die Umstände dafür, dass mir alles so trostlos vorkommt, schließlich schleiche ich hier herum wie ein grotesker Billig-Ninja und klammere mich mit sinnloser, schwacher Hoffnung an eine zerknüllte Karte.
»Du frisst das jetzt, du Schwuchtel, und es schmeckt dir gefälligst.«
Ich bleibe stehen, mein Blut gefriert zu Eiswasser. Eine Tür schlägt auf, zu nah, und ein Feuerzeug macht zick-zick-zick , zündet aber nicht. Ich halte den Atem an und bin sicher, dass mich der Mann an die Wand gepresst sieht, sobald die Flamme den Flur erhellt.
»Nicht schon wieder. Scheißteil«, sagt er und schiebt das Feuerzeug sowie die Zigarette zurück in seine Tasche. Dies ist das erste und einzige Mal in meinem Leben, dass ich eine tiefe Verwandtschaft mit dem furchtlos in Mülltonnen tauchenden Unratbeseitiger der Nacht empfinde, mit Procyon lotor , unserem maskierten Freund, dem Waschbär. Der Schatten des Wächters fällt über meinen Kopf, wogt über mich hinweg und verschwindet. Ich stelle fest, dass ich nur ein oder zwei Meter von der letzten Tür am Ende des Ganges entfernt bin. Es handelt sich um eine jener Türen, die auf der Karte markiert sind. Der Wächter verschwindet in dem angrenzenden Korridor, immer noch Flüche wegen des defekten Feuerzeugs murmelnd. Ich weiß natürlich, dass er mein Herz nicht gegen meinen Brustkasten hämmern hört, aber es fühlt sich so an, als müsse es jeder mit halbwegs intakten Ohren hören.
Ich lasse einen Augenblick verstreichen, nur für den Fall, dass der Wächter sich entschließt, noch mal zurückzukommen, aber ich vernehme nur entferntes Getrampel und Gemurmel. Ich atme kräftig aus, lasse sämtliche Luft aus meiner Lunge entweichen. Trotzdem fühle ich wenig Erleichterung. Ich küsse den Lageplan und stecke ihn rasch in meine Gesäßtasche zu der Apfelgartenkarte und der Notiz meiner Mutter.
Das aufgebrochene Türschloss hängt nur noch an einer verbogenen Schraube. Sie haben außen zwei Halterungen an die Wand genagelt, an jeder Seite der Tür eine, und eine Holzplanke darin verklemmt. Vorsichtig hebe ich die Dachlatte an, öffne die Tür und nehme die Latte mit rein …
Klonk!
Ein Blechteller kracht neben meinem Kopf an die Wand, und eine matschige graue Masse regnet auf mich nieder.
»Ich hab gesagt, ich sterbe lieber, als dieses Gift zu essen!«
»Das ist kein Gift«, sage ich und lecke mir etwas Porridge von den Fingern. »Klumpig, ein bisschen eklig, aber kein Gift.«
»Wer bist du, du bist nicht der Wächter.«
»Der Wächter ist längst weg«, sage ich. »Ich bin Allison, und deine Freundin Nanette schickt mich.«
»Ah. Ein Rettungskommando. Und dazu noch eine Frau … Die Lage spitzt sich zu.«
Ich lehne die Latte an die Wand und mache ein paar Schritte in den
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