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Sie kommen!: Ein Blog vom Ende der Welt (German Edition)

Sie kommen!: Ein Blog vom Ende der Welt (German Edition)

Titel: Sie kommen!: Ein Blog vom Ende der Welt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine Roux
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Nein, es ist ja nicht deine Schuld.«
    Vielleicht liegt es an der Kälte, vielleicht am frostigen Nebel, der am Fuße des Hügels kauert. Vielleicht an dem Tier, das uns beobachtet, ein Wesen, das nicht hierhergehört, so weit von seiner Heimat entfernt und so völlig fehl am Platz. Was immer es auch ist, wir küssen uns, und der Schmerz in meiner Brust ist wieder da, aber diesmal anders, und er kommt nicht von meinen Rippen.
    Ich muss völlig erschöpft sein, denn meine Reaktionsgeschwindigkeit ist lausig. Plötzlich ertönen Stimmen, wütende Schreie, aber ich tue nichts, komme mir vor, als ob ich plötzlich in ein trübes Wasserloch gedrückt würde. Die Stimmen klingen gedämpft, verzerrt, aber ich will nicht loslassen. Nicht jetzt … Nicht in dieser Minute. Seine Lippen haben mich betäubt.
    »Was zur Hölle ist mit dir los ? «
    Es ist Lydia. Sie schreit, fuchtelt mit den Armen und stößt mich. Ich schlage nicht zurück, auch wenn ich es eigentlich will. Ich schaue den Hügel hinunter und sehe, wie das Zebra wieder im Nebel verschwindet, erschrocken versucht sich zu verstecken, verstört in die Realität zurückkehrt.
    »Beruhige dich, Lydia. Beruhige dich einfach.«
    Sie kämpfen, seufzen und tauschen wilde Blicke aus. Ich stehe daneben und beobachte sie, alarmiert von der Erkenntnis, wie satt ich das alles habe, wie losgelöst und traurig ich geworden bin. Es ist nicht der richtige Moment für Erkenntnisse wie diese, aber das macht nichts. Ich gehe weg und lasse sie weiter streiten. Lydia sagt so etwas wie: »Komm hierher, untersteh dich abzuhauen.« Aber ich gehe zurück zum Zelt und nehme ruhig ein Stück Papier aus der Laptoptasche. Mit einem Stift ziehe ich eine senkrechte Line über die Mitte des Blattes. Blinzelnd in der Dunkelheit schreibe ich PRO und KONTRA oben hin.
    Ein paar Minuten später sieht es etwa so aus:
    PRO
    Ich mag Ted
    Ich mag Ned
    Ich mag Evan und Mikey
    Ich mag Renny
    Ich liebe Collin
    Collin und Finn haben Waffen und Erfahrung
    Zusammen sind wir stärker
    Fahrzeuge
    KONTRA
    Lydia
    Mehr Münder zu stopfen
    Mehr Leute, mehr Lärm
    Lydia
    Meinungsverschiedenheiten und Gezänk
    Vereinnahmung
    Mobbing
    Lydia
    Meine Mom ist da draußen
    Ich hätte die Liste gar nicht schreiben müssen. Allein die Überlegung, es aufzuschreiben, hat mich überzeugt: Ich weiß, was ich tun will. Es ist keine leichte Entscheidung, und sie wird mich nicht beliebt machen, aber es geht um meine Existenz, mein Überleben, und ich bin entschlossen, die Initiative zu behalten, selbst angesichts so vieler … Komplikationen.
    Morgen sage ich es den anderen. Ich werde mich vor sie hinstellen, tief Luft holen und erklären: Ich habe entschieden, alleine weiterzuziehen. Danke für eure Hilfe, danke, dass ihr meine Freunde wart, aber es ist Zeit für mich zu gehen. Meine Mutter ist irgendwo da draußen, und ich werde sie finden oder bei der Suche sterben. Ich habe schon zu lange gezögert. Wartet nicht auf eine Postkarte, es kommt keine.
    Dann werde ich Dapper nehmen, meine Laptoptasche und meine Axt und das Haus meiner Mutter aufsuchen, um sicherzugehen, dass sie nicht dort ist. Ich werde Collin vergessen. Ich werde meine Mutter finden, weil ich es ihr schuldig bin. Ich werde sie finden, weil es an der Zeit ist.
    Aber jetzt muss ich mich erst mal ausruhen, wie ihr auch alle. Bleibt in Sicherheit, bleibt wachsam, und bleibt in Verbindung. Ich werde bald wieder schreiben, wenn ich den nächsten sicheren Ort gefunden habe, die nächste Etappe auf dem Weg vorwärts.
    KOMMENTARE
    steveinchicago:
    29. Oktober 2009 15:06 Uhr
    Ich durfte so lange deinen Optimismus genießen, und ich meine das nicht ironisch. Deine optimistische und zumeist fröhliche Haltung angesichts der Umstände, in denen wir uns befinden, war ein Leuchtfeuer der Inspiration. Ich weiß immer noch nicht, warum wir diese Scharade der Normalität so lange durchgehalten haben. Nun sehen wir hier, was passieren kann, wenn man im Angesicht der Vernichtung zu großzügig und einladend ist. Ich hasse es zu sagen, aber es tut weh, dass Leute wie du und Collin … Leute wie ich … die großzügig und hilfsbereit in einer Zeit sind, wo wir das nicht hätten sein sollen. Vielleicht hatte ich Glück, vielleicht hatten wir Glück, weil uns der Mut gefehlt hat, uns ein größeres Refugium und beständigere Sicherheit zu suchen.
    Allison, verlass sie nicht … sie brauchen dich so sehr, wie du bei ihnen sein willst.
    Norwegen:
    29. Oktober 2009 16:21 Uhr
    Viel

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