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Sie nennen es Leben

Titel: Sie nennen es Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannah Pilarczyk
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ihren sozialpsychologischen Bedürfnissen. Die Verhandlungen darüber, wer cool ist und wer zu welcher Gruppe gehört, sind seit jeher fester Bestandteil ihres Alltags.
    Tatsächlich ist die » Straße Internet « aber weniger offen als gedacht: Gerade weil On- und Offline-Welt so eng verzahnt sind, spiegelt das Internet auch Entwicklungen wie die zunehmende soziale Spaltung wider. Bildungsunterschiede entscheiden nicht nur offline, welche Chancen ein Kind in Deutschland hat – sie tun dies auch online. In der Wissenschaft wird deshalb schon länger ein Thema diskutiert: die digitale Ungleichheit.

3. Digital Inequality – Warum das Internet nicht gleich macht
    Wenn Zoe ins Internet will, muss sie sich zu Hause an den Familiencomputer im Flur setzen. Sie darf täglich eine Stunde ins Netz. Ihr Vater hat ziemlich genau im Blick, was die 13 -Jährige online macht: Manchmal schaut er im Browser nach, welche Seiten sie aufgerufen hat. Außerdem hat er ihr verboten, den Instant-Messenger-Dienst ICQ zu benutzen, weil er ihn für zu unsicher hält. Zoe empfindet das aber nicht als übermäßig streng, zwischen ihr und ihrem Vater herrscht nach eigenen Angaben ein großes Vertrauensverhältnis.
    Am häufigsten ist Zoe auf SchülerVZ. Dort hat die Realschülerin nach eigenen Angaben 300 bis 400 Freunde. Dabei lehnt sie auch viele Freundschaftsanfragen ab. » Ich will nicht, dass die asozialen Typen meine Bilder sehen « , sagt sie. » Die könnten die sonst kopieren. « Für asozial hält sie jemanden, der zum Beispiel eine schlechte Wohnung hat. » Bei Freundschaftsanfragen erkennst du am Namen und am Bild, ob die asozial sind. Oft sind die von der Hauptschule. « Zoe hat im Sommer schlechte Erfahrungen mit Hauptschülern gemacht. Als sie auf ihrer SchülerVZ-Seite schrieb, dass sie mit einer Freundin ins Freibad gehe, folgten ihr einige Jungen aus der Hauptschule und beobachteten die Freundinnen beim Schwimmen. Außerdem lauerten dieselben Jungen einer Freundin beim Stadtbummel auf. » Das heißt aber nicht, dass alle Hauptschüler asozial sind « , betont Zoe.
    Asis oder Asoziale– diese Begriffe fallen häufig, wenn man sich mit Jugendlichen unterhält. Manchmal sind sie nur als Schimpfworte gemeint, manchmal bringen sie eine bewusste Abgrenzung von sozial Schwächergestellten zum Ausdruck. Dass Kinder und Jugendliche solch politisch aufgeladenes Vokabular wie selbstverständlich verwenden, kann kaum verwundern. In Diskussionen um die Reformen von Hartz IV oder den Thesen von Thilo Sarrazin ist es dauerpräsent. Auch im Fernsehen werden sozioökonomische Unterschiede immer wieder thematisiert, auch zu Zeiten, in denen Schüler einschalten.
    Fragt man zum Beispiel die 12 -Jährigen Gabriel und Ulf, welches ihre Lieblingsfernsehsendung ist, sagen die beiden: » Familien im Brennpunkt « . Das ist eine Scripted-Reality-Show, die nachmittags auf RTL läuft. Im Stil von Dokumentationen werden dort Alltagskonflikte nachgestellt. Gabriel und Ulf verbringen fast jede freie Minute miteinander und schauen auch gemeinsam fern. Über die Fälle in » Familien im Brennpunkt « können sich die Gymnasiasten immer wieder schlapplachen. Besonders lustig fanden sie eine Frau, die aus lauter Verzweiflung eine Grillparty aufmischte und mit einer Axt den Grill zerlegte. Die Jungen wissen, dass in der Sendung keine echten Fälle gezeigt werden, und machen Witze über die schlechten Leistungen der Schauspieler. Was trotzdem hängenbleibt, ist das diffuse Gefühl, dass es eine Gruppe von Abgehängten gibt– die » Asozialen « .
    Die Debatte um die gesellschaftliche Spaltung und die wachsende Schere zwischen Arm und Reich hat also auch Kinder und Jugendliche erreicht. Eine Leerstelle bleibt aber: nämlich das Internet. Für viele Dinge von Cybermobbing bis Porno-Schwemme muss das Internet als Sündenbock dienen, aber in Zusammenhang mit sozialer Spaltung ist es kein Thema. Das ist eine grobe Nachlässigkeit, denn nichts beeinflusst die Internetnutzung von Jugendlichen in Deutschland mehr als ihr Bildungshintergrund. Weder Geschlecht noch ethnische Zugehörigkeit sorgen für eine ähnliche Spaltung zwischen Gleichaltrigen. Zu diesem Ergebnis kamen die Forscher des » Kompetenzzentrums für informelle Bildung « (KIB) der Uni Bielefeld schon 2004 . Sie hatten ausdrücklich nach Hinweisen auf

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